Haut aus Seide
keinerlei Reue. Wenn selbst Motorroller den Fußweg als Straße benutzen durften, wieso dann nicht auch sie? Schließlich war es äußerst unwahrscheinlich, dass ein Zusammenstoß mit ihrem schicken Zehn-Gang-Rad tödlich enden würde.
Nachdem ihr Humor durch den Triumph über den Verkehr wiederhergestellt war, kam sie gerade rechtzeitig bei Meilleurs Amis an, um Zeuge zu werden, wie ein
exquisit frisierter Pudel sich anschickte, sein Geschäft neben der Eingangstür zu verrichten. Mit einem Hochmut, den ihre Mutter sicher stolz gemacht hätte, wandte sie sich der Frau zu, die den Hund ausführte. » Non, non, madame! Es sei denn, Sie haben Eimer und Schaufel dabei.«
Die Frau rümpfte die Nase, zog ihre kleine Hundekotfabrik aber rasch weiter.
Schon besser , dachte Béatrix und sog die glücklicherweise unverdorbene Luft ein. Dann klemmte sie den Fahrradhelm unter den Arm und unterzog das Schaufenster einer genauen Prüfung. In dem mit Teppich ausgelegten Fenster stand ein Empire-Toilettentisch, dessen schwarze Lackoberfläche mit Perlmuttintarsien verziert war. Auf der Tischfläche standen diverse Parfümflaschen; zwar waren sie neueren Datums, aber eindeutig Kunstgegenstände. Über einem fragilen Stuhl lag ein handbemalter japanischer Schal, der wirkte, als wäre seine Besitzerin während ihrer Toilette aufgesprungen und hätte ihn vergessen. Das Licht war perfekt, das Arrangement einladend, und natürlich war jedes einzelne Stück im Innern des Ladens käuflich zu erwerben. All das überraschte Béatrix jedoch nicht. Die Präsentation war in diesem Geschäft nie das Problem gewesen.
Aber als sie die Filiale betrat, verschwanden sofort alle geschäftlichen Gedanken aus ihrem Kopf. Über dem altmodischen Glas der Handschuhvitrine lehnte lässig eine junge Frau. Welliges kastanienbraunes Haar ergoss sich wie ein Satinwasserfall über ihre Schultern. Sie trug zwei enge, gerippte T-Shirts – eines in Weiß, das andere in Scharlachrot – und eine tief geschnittene, abgetragene Jeans. Ein Riss in dem Jeansstoff ließ einen ihrer muskulösen
Oberschenkel erkennen, und ihre kleinen Füße steckten in derben Boots. Trotz dieses eher kostengünstigen Modeansatzes sah die Frau mindestens genauso gut aus wie die seidenbehangene vendeuse hinter dem Tresen.
Als sie Béatrix erblickte, schob sie ihre kleine, schwarz umrandete Brille ein wenig über die Nase.
»Hey, Süße«, sagte sie, als wäre nicht ein ganzes Jahr vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. »Alles paletti?«
Béatrix lachte und zog ihre Freundin ungeachtet der starrenden Blicke seitens der anderen Verkäuferinnen in ihre Arme. Die Umarmte war zwei Zentimeter kleiner, ein gutes Stück dünner, aber fast genauso stark wie Bea selbst.
Nachdem sie sich fast bis zur Bewusstlosigkeit gedrückt hatten, schob Béatrix die junge Frau ein wenig von sich, um sie genauer betrachten zu können. »Lela! Was machst du hier?«
»Das Übliche. Arbeiten. Spielen. Über meinen letzten Verehrer hinwegkommen. Ich schreibe gerade einen Reisebericht für die amerikanische Vogue. Und er ist für seinen Boss auf Parfümjagd.«
»Parfümjagd?«
»Ist’ne lange Geschichte. Ich erzähl sie dir gern beim Essen. Wie wär’s mit Pâte und Baguette?«
»Aber woher wusstest du denn, dass ich hierherkomme?«
»Wusste ich gar nicht. Ich bin auf Geschenksuche.« Sie breitete ein fliederfarbenes Set aus BH und Höschen auf der Handschuhvitrine aus. Die Spitze der Unterwäsche war herrlich gearbeitet.
»Lela! Das kannst du mir nicht kaufen. Das ist viel zu teuer.«
»Unsinn«, widersprach die Freundin. »Schließlich will ich dich ja auch ausnutzen.« Sie öffnete Béatrix’ Jacke und warf einen Blick auf ihre Figur. »Ich weiß nicht recht, Bea. Du siehst ziemlich muskulös aus. Ich glaube, ich muss eine Nummer kleiner nehmen.«
Béatrix wurde rot, aber ihr Lachen zeigte ehrliche Freude. »Im Vergleich zu dir bin ich immer noch die reinste Vogelscheuche.«
»Aber deine Vogelscheuchensachen trägst du mit einem gewissen Elan«, antwortete Lela scherzend. »In Kansas wäre dein Stil unerreicht.«
»Aber ich bin hier nicht in Kansas.«
»Stimmt auch wieder«, gab Lela mit dem schiefen Grinsen zu, das mittlerweile zu ihrem Markenzeichen geworden war. »Dann musst du dich wohl weiter hier durchschlagen.«
Die beiden Frauen strahlten sich an – voller Zufriedenheit, dass ihr scherzhafter Schlagabtausch immer noch so gut funktionierte. Im College hatte niemand
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