Haut aus Seide
mit den beiden mithalten können. Dort hatte man sie nur die »Comedy Sisters« genannt – selbst Leute, die sie nicht mal persönlich kannten. Regelrechte kleine Berühmtheiten waren sie auf dem Campus der Columbia-Universität gewesen. Für Béatrix durchaus nicht selbstverständlich, denn normalerweise war sie eher ein Mensch, der sich im Hintergrund hielt. Doch Lela hatte an ihre Courage appelliert und sich sogar bemüht, sie zu ihrer Freundin zu machen. »Die hinreißende Französin« hatte sie Béatrix – ebenso liebevoll wie kurzsichtig – genannt.
Wenn sie mit Lela zusammen war, glaubte Bea fast selbst daran, absolut hinreißend zu sein. Im Doppelpack waren sie immer zu Streichen aufgelegt und überaus clever.
Wilde Frauen mit Verstand, die ihre Professoren zur Verzweiflung, aber auch zu Lachanfällen getrieben hatten. Wenn Béatrix sich einsam fühlte, erinnerte sie diese Zeit stets daran, dass sie die beste Freundin der Welt hatte.
»Gib mir fünfzehn Minuten«, sagte sie. »Ich will noch ein paar Dinge mit der Geschäftsführerin besprechen. Dann können wir in ein Taxi steigen und uns meine neue Wohnung ansehen.«
»Okay«, erwiderte Lela auf ihre unbeschwerte amerikanische Art.
Béatrix drückte der Freundin einen Kuss auf die Wange. Lela war hier! Sollte Beau-père doch bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Der Tag war gerettet.
Béatrix wohnte seit sechs Monaten in Montmartre, einem Viertel im Norden von Paris. Bis dahin hatte sie in der geräumigen Wohnung der Familie auf der Avenue Foch gelebt. Doch als sie Philips Trauer über den Verlust seiner Frau nicht mehr hatte mit ansehen können, war es Zeit für eine Veränderung gewesen. Ihre eigenen Gefühle für ihre Mutter standen einfach in zu großem Widerspruch zu den seinen. Und dann waren da ja auch noch die Umstände ihres Todes.
Bea war also kurzerhand in die Avenue Junot gezogen und lebte zum ersten Mal in ihrem Leben ganz allein. Eigentlich hatte sie fest damit gerechnet, es zu hassen, doch stattdessen erblühte sie wie eine Blume, die endlich Raum zum Atmen hatte. Das Alleinsein, die Ruhe und die Freiheit, niemandem außer sich selbst Rechenschaft schuldig zu sein, hatten eine unglaublich heilsame Wirkung auf ihre Seele.
Die sechs großen Zimmer lagen im Dachgeschoss eines cremefarbenen Hauses nahe dem Moulin de la Galette, einer Windmühle aus dem siebzehnten Jahrhundert, nach deren Vorbild auch das Moulin Rouge entstanden war. Die Räume auf der einen Seite der Wohnung zeigten auf die Place Suzanne-Buisson, die der anderen auf Sacré-Cœur. Die Basilika dominierte das Panorama wie eine Kreuzung zwischen Hochzeitstorte und einem islamischen Tempel. Passend zu der Aussicht hatte Bea auch die Farben ihrer Wohnungseinrichtung gewählt: Knochenweiß, Baumgrün und das sanfte Silberblau des Himmels. An ihren weiß-altrosa gestrichenen Wänden hingen Reproduktionen ihrer Lieblingsimpressionisten.
Béatrix’ Herz hüpfte vor Erwartung, als sie ihre Freundin die enge Treppe in den fünften Stock hinaufführte. Seit die beiden sich kannten, hatte Lela immer allein gewohnt. Mit so einer furchtlosen Freundin war es natürlich peinlich für Bea gewesen, dass sie immer noch bei ihrer Mutter lebte – selbst wenn sie ihre eigenen Räume in der Wohnung hatte. Doch jetzt war auch sie frei und unabhängig.
Béatrix öffnete die Tür mit großer Geste.
»Oooh!«, entfuhr es Lela sofort. »Dieser Blick!«
Hocherfreut führte Béatrix sie durch Wohn- und Esszimmer, die ruhige Küche und das angenehme Gästezimmer. Die Farbwahl ihres Schlafzimmers – gelb und pink – erntete ein begeistertes Aufseufzen. Dann ging es über die Wendeltreppe hinauf in Beas Studio, von dem eine Tür auf den Dachgarten führte. Lela würdigte die wilden Rosen kaum eines Blickes, sondern wandte ihre Aufmerksamkeit gleich den vielen Leinwänden zu, die
an der Wand lehnten. Sie schob die Brille auf die Nase. Diese Brille hatte Bea vorher noch nie gesehen. Der dunkle Rahmen verlieh ihrer Freundin einen seltsamen, versponnenen Glamour, und Lelas Stupsnase wirkte unter dem Gewicht des Gestells auf bezaubernde Weise noch stupsiger. Ihre Wangen schienen schmaler, der Mund voller und die Wimpern und Augenbrauen dunkler. Die eigenen Reize mit einer Brille noch vergrößern – das schafft nur Lela , dachte Béatrix.
»Tja«, begann die Amerikanerin, hob das erste Gemälde hoch und hielt es ins Licht, »wie ich sehe, warst du in letzter Zeit sehr fleißig. Aber wieso verstauben
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