Haut aus Seide
und starrte in die Runde, als hätte er völlig vergessen, was all die Menschen hier wollten. Sein immer noch leerer Blick ging in Richtung Lela. Das Flehen, das Bea noch vorhin in seinen Augen gesehen hatte, war verschwunden und von einem instinktiven Bedürfnis nach Kontakt verdrängt worden. Ob er es nun wusste oder nicht, dieser Mann liebte Béatrix’ Freundin einfach abgöttisch.
»Es tut mir leid«, erklärte er mit benommener Stimme.
»Mein Vater hatte einen Schlaganfall. Den zweiten. Ich fürchte, ich muss sofort nach Hause.«
Durch den Raum ging ein mitleidiges Murmeln. Philip umrundete den Tisch und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Meine Sekretärin wird beim Flughafen anrufen und den nächstmöglichen Flug für Sie buchen.«
Simons Kinn begann bei den Worten des Engländers heftig zu zittern. Er sah aus wie ein kleiner, verlorener Junge. Beas Herz war voller Mitgefühl.
»Ja«, sagte er durch zusammengebissene Zähne. »Das wäre sehr hilfreich.«
Philip und Andrew führten ihn wie einen Invaliden aus dem Raum – jeder auf einer Seite. Béatrix beobachtete, wie sie hinausgingen, und drehte sich dann zu Lela um. Die Augen ihrer Freundin glänzten tränenfeucht, und sie rang die Hände wie ein kleines, betendes Mädchen.
»Sein Vater«, flüsterte sie. »Er betet den Mann an.« Bea umfasste die Finger ihrer Freundin. »Du könntest ihn begleiten. Vielleicht braucht er ja deine Unterstützung.«
»Das würde er nicht wollen.«
Das konnte Bea nicht glauben. Sie war sich sicher, dass Simon Lela mehr als alles andere bei sich haben wollte. »Er liebt dich wirklich. Das habe ich in dem Moment in seinen Augen gesehen, als du in den Raum kamst.«
»Wenn das doch nur wahr wäre«, sagte Lela, schüttelte dann jedoch den Kopf, als wären Wünsche ein Verbrechen.
Sie gab ein Vermögen für das Taxi vom JFK-Flughafen aus. Doch da sie gerade den vollen Preis für einen Last-Minute-Flug
von Paris bezahlt hatte, spielte das auch keine Rolle mehr. Sie konnte nur von Glück reden, dass die Maschine ihre Kreditkarte nicht gleich wieder ausgespuckt hatte.
Der Wagen hielt vor dem langgezogenen Flachdachbau einer Privatklinik. Närrin , dachte sie wohl zum hundertsten Mal. Simon wollte sie nicht dabeihaben. Simon liebte sie nicht. Und selbst wenn – dies war eine Familienangelegenheit. Familie. Was wusste Lela schon von Familie?
Doch am allermeisten verfluchte sie die Stunde, die sie damit verschwendet hatte, auf und ab durch Beas Wohnung zu laufen und den Drang zu unterdrücken, Simon hinterherzulaufen. Sie hätte längst hier vor Ort sein und die Sache hinter sich bringen können.
»Da wären wir«, teilte ihr der Taxifahrer mit.
Lela bezahlte den Mann und stieg zögerlich und mit wackligen Beinen aus dem Wagen. Sie war noch ganz erschöpft von dem langen, durchwachten Flug, von der doppelten Zeitverschiebung und der Angst, welcher Situation sie sich jetzt stellen musste. Aus ihrer Brust drang ein hysterisches Lachen. Sie hatte gerade ihr letztes Geld ausgegeben, und wenn Simon sie nicht hier haben wollte, würde sie zu Fuß nach Brooklyn Heights laufen müssen.
Doch diesen Gedanken verdrängte sie und schlug die Autotür hinter sich zu.
»Viel Glück«, wünschte der Taxifahrer mit einer Freundlichkeit, die ihr fast die Tränen in die Augen trieb.
Lela brachte kein Wort heraus, nickte nur und passierte die ebene, blumengesäumte Auffahrt zur Klinik. Das Innere des Krankenhauses war schicker als manches
Hotel. Die antiken Wände waren in Gold gehalten und der Fußboden so poliert, dass Lela sich in den Marmorkacheln spiegeln konnte. Nur der Geruch machte den Besuchern bewusst, dass sie sich in einem Krankenhaus befanden. Es roch nach einer Mischung aus Antiseptikum und Angst. Die Schwester hinter dem Empfangstresen trug eine gestärkte Uniform und erklärte ihr sogleich den Weg in den entsprechenden Flügel.
»Aber sehen werden Sie ihn nicht können«, warnte sie Lela. »Das dürfen nur direkte Familienangehörige.«
»Ich verstehe«, erwiderte Lela und war ganz erstaunt über den rostigen Klang ihrer Stimme.
Der Wartebereich war mit gut gedeihenden Grünpflanzen und nichtssagender moderner Kunst dekoriert. Lela erkannte Simons Mutter schon von hinten. Sie sprach gerade mit einem hochgewachsenen, weißhaarigen Paar. Das mussten die Tante und der Onkel sein. Simon selbst war nirgends zu sehen. Lela klopfte das Herz bis zum Hals. Sie konnte nicht sagen, ob seine Abwesenheit es ihr leichter oder
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