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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einem Schokoladeneis in der Hand. Der Umzugswagen war wieder weggefahren.
    »Charlie will in der Wohnung bleiben«, sagte Klara. »Ich übernachte heute bei ihr.«
    »Die kommen doch sicher wieder«, gab Jette zu bedenken.
    »Ja, aber nicht heute«, sagte Charlie. »Wahrscheinlich brauchen die erst einmal ein paar Wochen, um einen neuen Termin festzulegen. So sind Behörden.« Charlie grinste.
    Ein Sonnenbad später verabschiedete Jette sich. Sie hatte noch etwas Dringendes zu erledigen.
    Als sie zu Hause ankam, lag ihre Mutter in der Badewanne und las. Um sie herum wogten Berge von Schaum. »Bleib ruhig liegen, Mama«, sagte Jette. Ihre Mutter hatte die nervige Angewohnheit, sich ständig in Jettes Leben einzumischen. Jette wusste, dass das nicht böse gemeint war, aber bei dem, was sie jetzt vorhatte, war sie nicht scharf auf neugierige Nachfragen.
    »Wie fändest du es«, fragte ihre Mutter, »wenn Papa und ich ein Wochenende nach Venedig fahren? Du kannst auch mitfahren, wenn du willst.« Sie hielt einen Venedig-Reiseführer in der Hand.
    »Nein, fahrt nur allein«, sagte Jette und setzte ihrer Mutter eine Schaumkrone auf den Kopf.
    »Aber du schläfst dann bei Klara, okay? Oder sie bei dir? Oder Charlie.«
    Jette machte ein unbestimmtes Gesicht.
    Ihre Mutter tauchte unter, und Jette nutzte die Gelegenheit, um aus dem Bad zu flüchten.
    Aus dem geschlossenen Arbeitszimmer drang laute Musik. Jette öffnete die Tür. Ihr Vater saß bei weit geöffnetem Fenster mit einer Zigarette in der Hand am Schreibtisch und arbeitete. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Jette trat auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter. Er drehte sich erschrocken um, doch als er sah, dass es seine Tochter war, lächelte er. »Mach bitte die Tür zu«, sagte er, wie immer, wenn Jette reinkam, während er rauchte. Eine Opernsängerin und ein rauchender Lehrer: In regelmäßigen Abständen krachtees in Jettes Elternhaus. Dann meinte ihre Mutter, sich den Rauch nun wirklich nicht mehr zumuten zu können. Und Jettes Vater versprach, mit dem Laster aufzuhören, wozu es allerdings nie kam. »Hast du Hunger?«, fragte er jetzt.
    Jette schüttelte den Kopf. »Arbeite ruhig weiter«, sagte sie und ging wieder aus dem Zimmer. »Die Tür!«, rief er ihr nach.
    Im Wohnzimmer lagen mehrere Tageszeitungen. Gut, dass ihre Eltern beschäftigt waren. Jette schaute sie durch und fand auf Anhieb die Anzeige, die Klara ihnen vorgelesen hatte. » Vision Face sucht …« Die Anzeige stand wirklich überall. Jette schrieb eine Bewerbung, legte ein aktuelles Foto bei und ging direkt zum Briefkasten. Vielleicht hatte sie ja tatsächlich gute Chancen zu gewinnen, würde damit etwas Geld verdienen und konnte Charlie dann die Miete für die Wohnung bezahlen.

Die Blüte der Titanenwurz
    »Was sagst du dazu?« Dukie verschluckte sich fast vor Eifer. »Ich hab im Gewächshaus über der Titanenwurz ein Mikro montiert. In der Lampe. Und das Beste: Es hat einen Parabolspiegel! Der leitet dir die Töne alle ins Mikro, egal woher sie kommen. Der Spiegel reflektiert die da rein. Die Leute können stehen, wo sie wollen, wir kriegen alles mit. Wie findest du das?«
    Jonah verzog gelangweilt sein Gesicht. Seit zwei Stunden erzählte Dukie ihm, welchen Sender er wo im Garten versteckt hatte und wie das Zeug funktionierte. Nicht dass sie in der Zeit irgendein Gespräch mitgehört hätten. Dukie war ganz mit dem Optimieren seiner Technik beschäftigt. Wenigstens begann jetzt langsam die Feier. Der Geräuschpegel auf der Familienveranda war bereits angeschwollen, und das Orchester spielte sich ein. Durch das geöffnete Fenster bekamen sie alles mit.
    Dr. Saalfeld und seine Frau erwarteten hundertfünfzig ausgewählte Gäste. Wie immer wenn die Titanenwurz blühte, richteten sie kurzfristig ein Fest aus. Die Titanenwurz besaß die größte Blüte der gesamten Pflanzenwelt, und Dr. Saalfeld hatte sie vor einigen Jahren aus Sumatra mitgebracht. Wim Tanner schaffte es regelmäßig, sie zum Blühen zu bringen, was in der Fachwelt als ziemlich schwierig galt. Glücklicherweise stand die Titanenwurz in einem Gewächshaus im hinteren Teil des Gartens. Denn wenn sie blühte, stank sie mörderisch. Sie roch nach verwesendem Tierkadaver.
    Pflichtschuldig warfen die meisten Gäste einen Blick auf die stinkende Pracht. Tatsächlich aber kamen sie wegen desgesellschaftlichen Ereignisses und des unglaublich schönen und großen Gartens des Gastgebers. Seit seiner Kindheit war Dr. Saalfeld ein

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