Haut, so weiß wie Schnee
selbst organisiert?«, fragte Jette.
»Was weiß ich. Meine Schwester war krank. Und dann war der Räumungstermin auf einmal da. Sobald meine Mutter wieder Geld hat, will sie die Möbel zurückkaufen.«
»Hört ihr das auch?«, fragte Klara plötzlich unsicher. Jette und Charlie lauschten. Ein schweres Auto näherte sich dem Haus. Jette sprang auf und schaute zur Straße hinunter. »Nur ein Laster«, sagte sie. Charlie lächelte schwach.
»Noch jemand einen Apfel?«, fragte Jette. »Meine Mutter hat mir eine ganze Tüte eingepackt.«
Charlie und Klara nickten. Jette kramte die Äpfel hervor, dann schloss sie die Augen und drehte sich zur Sonne. Sie sah den hellen Gasball vor ihren geschlossenen Lidern tanzen, kniff die Augen noch stärker zu und ließ ihre Gedanken schweifen.
»Jette!!! Jetzt hör doch mal!«, rief Klara. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen.
»Was denn?«, murmelte Jette schläfrig.
»Die Anzeige hier steht überall!«, sagte Klara. »Hör zu: ›Nutze die Chance deines Lebens! Vision Face sucht für einen großen Kunden aus der Kosmetikbranche das neue Gesicht. Du kannst es sein! Die weltbesten Fotografen und Stylisten warten auf die Gewinnerin des großen Vision Face -Wettbewerbs. Unser neues Gesicht hat eine perfekte, helle Haut, gerne mit charakteristischem Muttermal, und dunkle Haare. Bewirb dich jetzt!‹ Jette, mach das!«
Charlie hatte sich aufgesetzt. »Jette, schick ein Foto hin!«
»Was seid ihr denn für Freundinnen?«, sagte Jette und schnitt eine Grimasse. »Immer wieder kommt ihr mit so Zeugs. Ich hab darauf keinen Bock. Wahrscheinlich muss man dann zu Heidi Klum zum Adventssingen und für Paris Hilton den Chihuahua ausführen. Lasst mich mit so was in Ruhe!« Jette drehte ihren Freundinnen den Rücken zu.
»Aber Jette, Heidi wird dich nur einmal zum Singen einladen …«, zog Klara sie auf und spielte damit darauf an, dass Jette zwar Klavier spielen konnte, aber noch nie im Leben eine Melodie gehalten hatte.
»Das ist wie für dich ausgeschrieben!«, versuchte Charlie es noch einmal.
»Mir egal«, raunzte Jette.
Charlie drehte sich zu Klara und zuckte mit den Schultern. War eigentlich klar gewesen. Charlie kannte ihre Freundin. Jette hatte noch nie bei einem dieser Castings mitgemacht. Und dabei war sie verdammt hübsch. Aber sie schien sich nichts daraus zu machen. Liebesbriefe, die sie erhielt und bei denen ihr Name nicht ausdrücklich draufstand, steckte sie anderen Mädchen in die Tasche und hatte so schon mehrmals Leute miteinander verkuppelt. Sie trug einfach irgendwelche Klamotten, oft sogar Sachen, die Charlie nicht mehr haben wollte. Sie würde eh nicht gern einkaufen gehen, sagte Jette immer. Und Charlie war bereit zu schwören, dass sie Jette noch nie länger als eine halbe Minute vor dem Spiegel gesehen hatte. Jette schien sich für ihr Aussehen überhaupt nicht zu interessieren.
Es klingelte. Die Freundinnen fuhren senkrecht in die Höhe und schauten sich an. Charlie räusperte sich und sagte betont gelassen: »Ich gehe dann mal.«
Jette sprang auf. »Nein, ich mach das schon.« Sie zog sich schnell ihre Jeans und ein Sweatshirt über den Bikini und lief zur Tür. Durch den Spion war niemand zu sehen. Sie drückte auf den Türöffner und hörte, wie unten im Hausflur die Tür ging. »Post!«, rief jemand. »Puuh!«, machte Jette erleichtert und merkte, dass sie vor Aufregung die Luft angehalten hatte. Sie ging langsam zurück auf den Balkon. »Nur die Post«, sagte sie und stellte sich ans Geländer. Sie ließ ihren Blick über die Straße schweifen. Von einem Umzugswagenwar nichts zu sehen. Vielleicht kommen sie ja gar nicht, dachte sie. Gegenüber auf der Straßenseite wusch ein blonder Mann sein Auto. Jette schaute genauer hin. Den Mann hatte sie doch schon einmal gesehen. Gestern Nachmittag im Schwimmbad. Er hatte sich die ganze Zeit in ihrer Nähe aufgehalten. In der Straßenkleidung sah er etwas anders aus, aber sie erkannte ihn trotzdem wieder. Der Mann guckte kurz zu ihr hoch, widmete sich aber dann wieder seinem Auto. Jette wunderte sich. Normalerweise versuchten die Leute, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Manche wurden auch rot und wandten sich tonlos ab. Dieser aber wirkte völlig desinteressiert.
Jette drehte sich wieder zu ihren Freundinnen um. »Charlie, sollen wir das nicht endlich sein lassen? Wir könnten in die Stadt gehen, ein Eis essen, und heute Abend sehen wir dann nach, ob sie da waren.«
»Ihr könnt ja gehen, wenn ihr wollt«,
Weitere Kostenlose Bücher