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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Dr. Saalfeld und Wim Tanner belauscht hatten, waren sie nicht mehr auf das Mädchen zu sprechen gekommen.
    »Soll ich die Mikros am Büfett laut schalten?«, fragte Dukie schließlich.
    Jonah seufzte und nickte. Aber er war abgelenkt. Das Mädchen geisterte in seinem Kopf herum. Auf der Terrassespielte das Orchester weiter irgendwelchen Quatsch. Jonah schnupperte und konnte einen vagen Duft nach Mandel und Vanille ausmachen. Sein Vater buk Amarettosoufflés. Hier im Dachgeschoss vermischte sich der süße Duft des Desserts mit dem Geruch der ausgestopften Fische, die von der Decke baumelten. In Jonah weckte das die Erinnerung an einen Nordseeurlaub, wo er vor vielen Jahren einmal auf einem Kutter Butterkuchen gegessen hatte. Sein Vater würde ihnen sicherlich gleich ein paar Soufflés hochbringen lassen. Das vergaß er nie. Auch nicht im größten Stress.
    Direkt vor der Villa fuhr ein Auto vor. Das musste irgendein Super-V IP sein. Die zehn Stellplätze der Tiefgarage blieben bei festlichen Anlässen nur den wichtigsten Gästen vorbehalten. Vielleicht die Familie Hagenau, der ein beachtlicher Teil der Stayermed-Aktien gehörte. Oder Dr. Berger, der Aufsichtsratsvorsitzende, der so fett war, dass er kaum noch laufen konnte. Vielleicht auch der Oberbürgermeister.
    Eine Autotür wurde geöffnet. Ein paar Gäste stiegen aus. Leises Gemurmel. Die Stimmen waren nicht zu erkennen. Dann Benno Krawtschiks tiefes Organ. Er bat um den Autoschlüssel, um den Wagen parken zu können.
    Benno Krawtschik half bei Festen im Haus oft aus. Eigentlich war er Aufzugführer bei Stayermed, wo er den Vorstandsaufzug bediente. Wie er Jonah einmal anvertraut hatte, hätte er es nicht besser treffen können. Denn Benno Krawtschik war leidenschaftlicher Krimileser, und während die Herren in ihren Büros ihrem täglichen Kampf nachgingen, las er jeden Tag ein ganzes Buch.
    »Hör dir das an!«, sagte Dukie plötzlich aufgeregt und rüttelte Jonah unsanft an der Schulter. »Das ist echt der Hammer!«
    »Was denn?«
    »Diese Blagen! Die Kinder vom Oberbürgermeister sind im Arbeitszimmer von meinem Vater. Keine Ahnung, wie die da reingekommen sind. Eigentlich schließt mein Vater immer ab. Die machen am Terrarium rum.«
    »Wo die Puffotter drin ist?«
    »Genau.«
    »Niedliches Tier«, klang eine Knabenstimme aus dem Äther.
    »Weiß nicht, vielleicht ist die giftig«, sagte ein zweiter Junge.
    »Soll ich sie mal streicheln?«
    »Bist du verrückt!«
    »Puff …«
    »Hast du das gehört?« Dukie flüsterte. »Das war die Schlange. Die hat puff gemacht.«
    Natürlich hatte Jonah das gehört. War ja nicht zu überhören gewesen. Er grinste – Biologieunterricht am lebenden Objekt. Puffottern machten also puff , wie Klapperschlangen eben klapperten. War irgendwie logisch. »Die Schlange pufft wahrscheinlich, wenn sie sich bedroht fühlt«, sagte Jonah.
    »Ja«, flüsterte Dukie. »Und ich sag dir was. Die haben den Deckel abgenommen.«
    »Komm, wir machen den Kasten wieder zu«, sagte einer der Jungen.
    »Uuh, scheißschwer … Hilf doch mal … Autsch!« Es folgte ein lautes Krachen, dann war es kurz still.
    »Los, wir hauen ab.«
    »Das war’s«, sagte Dukie. »Die haben ganz schön die Hosen voll.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte Jonah.
    »Was weiß ich«, sagte Dukie. »Der Deckel ist runtergefallen. Vielleicht ist er kaputtgegangen. Ich hab auch nicht mehr gehört als du.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt hören wir mal woanders rein.«
    Dukie war wirklich gnadenlos. Jonah überlegte, ob er auch dann noch an seinem Schaltpult sitzen bliebe, wenn das Haus in Flammen stünde. Wahrscheinlich schon.
    »Was willst du hören?«, fragte Dukie.
    »Sag mir Bescheid, wenn du deinen Alten und Wim Tanner findest und sie über das Mädchen sprechen«, sagte Jonah.
    »Wieso denn immer das?«, beschwerte sich Dukie. »Wie wäre es mit dem Oberbürgermeister? Oder dem Mädchen am Eisstand?«
    »Moderatoren besorgen das, was die Leute hören wollen, kapiert? Und du bist der Moderator.«
    »Schon gut.«
    Es klopfte. Eine junge Angestellte brachte ein paar Soufflés. Sie war neu und hieß Marie. In null Komma nichts roch der ganze Raum nach Mandeln, Vanille und Amaretto. Marie wurde in letzter Zeit häufiger damit betraut, das Essen ins Dachgeschoss zu bringen. Weil sie ziemlich schüchtern war, vermied Jonah es, sie anzusprechen. Er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Aber sie hatte eine nette Stimme, und Jonah freute sich, wenn sie kam.
    Er aß das

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