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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Soufflé im Bett und konnte alle Zutaten einzeln herausschmecken. Jonah schloss die Augen und sah ein helles, orange glänzendes Soufflé mit einer leicht verwehten Schicht Puderzucker vor sich. Es schmeckte warm und süßund nach Sehnsucht. Er nahm sich noch ein zweites und biss genüsslich hinein.
    »Ich hab meinen Vater zusammen mit Wim Tanner!«, sagte Dukie mit vollem Mund. »Ich glaube, sie sprechen über das Mädchen«, fügte er in triumphierendem Tonfall hinzu. »Die haben gerade was über eine Genprobe gesagt.«
    »Wo sind sie denn?«
    »Unter unserem Baumhaus. Die sitzen bestimmt auf der Bank am Teich. Hab da natürlich auch ein Mikro versteckt.«
    »Zieh hoch, Dukie«, sagte Jonah, bevor sein Kumpel weiterreden konnte.
    »Das stimmt doch gar nicht«, sagte Wim Tanner in dem Augenblick. »Ihr wart alle verrückt nach dem Baby. Nicht nur Norbert Königssohn. Du auch. Lina Sandwey hier, Lina Sandwey da, Lina Sandwey dort. Ist zwar fünfzehn Jahre her, aber ich erinnere mich trotzdem noch verdammt gut. Sie war das hübscheste Baby auf der Station: weiße Haut, dunkler Flaum auf dem Kopf, rote Lippen, ein Muttermal auf der Wange. Ihre Mutter war genauso hübsch, nur leider drogenabhängig. Ich weiß noch, dass du dem Baby viermal am Tag die Flasche gegeben hast – als Arzt! Womit du recht hast: Norbert war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Er arbeitete damals rund um die Uhr. Seine gesamten Forschungen drehten sich nur noch um sie. Wenn du mich fragst, er war besessen von ihr. Ich erinnere mich auch noch an den Tag, als sie von ihren Adoptiveltern in der Klinik abgeholt wurde …«
    »Und wann kriege ich jetzt endlich diese Genprobe?«, unterbrach Dr. Saalfeld den Redestrom.
    »Morgen.«
    »Wirklich?«
    »Ja, ich besorge dir das Blut.«
    »Das ist gut.«
    »Brauchst du dann auch noch Haare, wenn ich Blut habe?«
    »Nein, Blut reicht.«
    »Guten Tag, Herr Dr. Saalfeld …«
    »Verdammt!«, schimpfte Dukie. »Die sind unterbrochen worden.«
    »Hast du das Gespräch aufgenommen?«, fragte Jonah.
    »Klar«, sagte Dukie. »Mach ich immer.«
    »Kannst du es speichern? Ich mein, für länger?«
    »Nee, geht nicht. Das überspielt sich nach ’ner Zeit von selbst.«
    »Speichre es doch bitte.«
    »Nee, geht nicht.«
    Dann eben nicht, dachte Jonah genervt. Er würde sich eben das Wichtigste merken. Das Mädchen hieß Lina Sandwey. Und dann gab es noch einen Norbert Königssohn. Und jetzt?
    »Dukie, du solltest das Mädchen warnen«, sagte Jonah.
    »Lass mich in Ruhe«, antwortete Dukie.
    Jonah reichte es. Er rutschte zur Bettkante, stand auf, ging vorsichtig an den Muschelfeldern vorbei zur Tür und verließ den Raum. Weil er keine bessere Idee hatte, schlug er den Weg zum Klo ein. Nach sechs Schritten geradeaus stand er auf der Galerie im Treppenhaus. Er ging bis zum Geländer, machte dort kurz Halt und lauschte den Stimmen aus den unteren Stockwerken. Die Party war in vollem Gang. Gedämpftes Gemurmel drang zu ihm herauf. Jonah hörte die Garderobiere mit den Kleiderbügeln klappern. Dann vernahm er die Stimme von Frau Menzel, Dr. Saalfelds Chefsekretärin, die ihren Mantel verlangte. Frau Menzelgalt bei den Herren im Konzern als überaus attraktiv, fähig und bestens informiert. Jetzt hörte Jonah auch Dr. Saalfelds Schritte. Sie näherten sich der Garderobe. »Sie verlassen uns bereits?« Er hatte einen charmanten Ton angeschlagen. »Nehmen Sie bitte noch ein Canapé. Die sind wirklich sehr gut. Mein Koch …« Dann klirrte Glas, und Marie rief erschrocken: »Oje!« Kurz darauf Frau Saalfelds dunkle warme Stimme: »Hol den Handfeger. Ich pass auf, dass keiner reintritt.« Frau Saalfeld rutschte immer wieder das Du heraus, wenn sie mit ihren Angestellten sprach. Meistens verbesserte sie sich dann schnell. Jonah hörte das Klirren der Scherben, als Marie sie zusammenkehrte. »Ist nicht so schlimm«, hörte er Frau Saalfeld noch sagen. Der Rest ging im Schlagen der großen Standuhr im Erdgeschoss unter. Es war fünf Uhr. Jonah drehte sich um. Er würde jetzt erst einmal aufs Klo gehen.
    Plötzlich hörte er ein Zischen. Puff, puff, puff. Er blieb abrupt stehen, die linke Hand noch an der Brüstung, das rechte Bein bereits in der Luft. Stille. Dann wieder puff, puff . Jonah rührte sich nicht und horchte angestrengt in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Er wartete. Und dann spürte er auf einmal die Schlange. Sie kroch direkt an seinem Fuß vorbei. Zunächst stieß ihr Kopf sacht gegen seinen Knöchel, dann

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