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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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links, wie um zu bekräftigen, dass er tatsächlich Wache hielt. Alles, was das Tier tat, schien darauf ausgelegt, ihr zu beweisen, was für ein braver Hund er war, und trotzdem wurde Lara das ungute Gefühl nicht los, dass er, sollte sich die Gelegenheit bieten, aus ihren Waden eine Zwischenmahlzeit machen würde.
    An diesem Morgen war ihr Bedürfnis, laufen zu gehen, besonders groß gewesen. Sie war noch vor Sonnenaufgang aufgewacht, rastlos und nervös, weil sie wusste, was sie an diesem Tag tun würde. Als sie im ersten fahlen Licht der Dämmerung die Treppe hinuntergeschlichen war, hatte sich das Haus um sie zusammengezogen und sie mit seinem Elend angesteckt.
    Am Abend zuvor hatte sie versucht, so lange wach zu bleiben, bis Bella, Olly und Marcus nach Hause kamen. Aber der Tag draußen in der Sonne, die Erschöpfung nach der Begegnung mit dem Bären und eine gute halbe Flasche Wein hatten zur Folge, dass sie irgendwann auf dem Sofa, den schwitzenden Jack wie eine lebende Wärmflasche im Arm, von Marcus wachgerüttelt wurde.
    »Komm, altes Mädchen. Ab ins Bett«, sagte er mit Tabak- und Weinatem.
    »Wie spät ist es?«, wollte sie wissen.
    »Die Geisterstunde ist schon vorüber.« Er hob Jack auf den Arm.
    »Wo sind Bella und Olly?« Verwirrt setzte sie sich auf. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie mit dem Abendbrot gewartet hatte. Irgendwann hatte sie es dann aufgegeben und allein gegessen – viel hatte sie nicht herunterbekommen.
    »Im Bett. Ich habe gerade nach ihnen geschaut. Schlafen beide wie Engel.«
    Er nahm Jack mit nach oben und ließ sie im kahlen, staubigen Wohnzimmer mit seinem süßlichen Verwesungsgeruch blinzelnd auf dem Sofa zurück.
    Sie stand auf, streckte sich und ging in die Küche, wo sie aufräumte, das stehengelassene Essen in den Kühlschrank räumte und sich vergewisserte, dass die Hintertür abgeschlossen war. Sie ergänzte die Sicherheitsmaßnahmen im Haus durch einen Besen und einen Wischmopp, die sie unter die Klinken der Hinter- und Vordertür klemmte. Dann endlich schleppte sie sich nach oben ins Bett. Als sie ins Schlafzimmer kam, schlief Marcus bereits, so dass sie keine Gelegenheit mehr hatte, ihn zu fragen, wo er den ganzen Abend gewesen sei.
    Als sie nun mit Hund die nebelverhangene Straße am Fluss entlanglief, setzte ihr neben einem leichten Kater auch noch der unangenehme Gedanke zu, dass sie in ihrer Familie langsam, aber sicher an den Rand gedrängt wurde. Sie versuchte zu entscheiden, ob das gut oder schlecht war.
    Sie trabten an dem bellenden Rottweiler vorbei, der wie üblich auf sie zugestürzt kam, um dann jaulend zurückzuspringen, als er auf die unsichtbare Barriere traf.
    »Ätsch«, sagte Lara. »Geschieht dir recht, du gemeines Vieh.«
    Das Laufen tat seine Wirkung. Es verjagte die Spinnweben aus ihrem Kopf und half ihr, sich auf den bevorstehenden Abend zu freuen, an dem sie zum ersten Mal seit sechzehn Jahren wieder mit Stephen allein sein würde. Sie versuchte, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen das für Marcus haben würde, merkte dann aber, dass es sie nicht länger interessierte. Die ganze vergangene Woche war ein unerträglich langes Vorspiel gewesen, und sie stand kurz vor der Explosion. Dieses eine Mal musste sie etwas Echtes tun, etwas, bei dem sie sich selbst treu blieb. Sie warf einen Blick auf ihren Arm – die Zahlenkombination für das Tor stand noch da, in Stephens Handschrift.
    »Living a lie, living a lie«, sang sie, und das Tempo ihrer Schritte markierte den Rhythmus. Normalerweise hörte sie beim Joggen immer Musik, aber an diesem Morgen hätte sie sich damit zu schutzlos gefühlt, deshalb hatte sie die Ohrstöpsel herausgenommen.
    Plötzlich blieb Hund ohne Vorwarnung stehen, ging in Kauerstellung und knurrte. Lara musste eine Vollbremsung machen, um nicht über ihn zu stolpern. Seine Aufmerksamkeit galt einer Gestalt, die knapp zwanzig Meter entfernt und halb im vom Fluss aufsteigenden Nebel verborgen neben einem Auto stand.
    »Hallo?«, rief Lara. Hunds Schultern zuckten, und er knurrte erneut. Die Gestalt machte einen Schritt auf sie zu, weg von ihrem graubraunen Auto, und Laras Magen krampfte sich zusammen, als sie die Schirmmütze, das mausbraune Haar, das braun-türkis gewürfelte Seidentuch erkannte.
    »Stehen bleiben! Oder ich hetze meinen Hund auf Sie«, rief sie.
    »Ich weiß, was Sie denken …«, schallte es laut durch die Morgenluft zu ihr herüber. Es war die Art von Stimme, wie man sie nur durch

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