Hautnah
erzählte er ihr, wie ihre gemeinsame Zukunft aussehen würde. Ihr Kopf lag schwer auf ihren Unterarmen. Sie hörte Stephen zu und erkannte, wie sehr sein Bild mit dem identisch war, das sie sich selbst seit ihrer Ankunft in Trout Island in ihren Träumen ausgemalt hatte.
Nach einer Weile wurde seine Massage intensiver, bis er sie schließlich auf den Rücken drehte.
Sie wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als es auch diesmal über sich ergehen zu lassen.
41
A ls es vorbei war, lag sie unter ihm auf dem Bett und zwang sich, wach zu bleiben, damit sie ihre Chance nicht verpasste. Irgendwann, als seine Atemzüge langsamer und tiefer wurden und die Andeutung eines Schnarchens hinzukam, schlängelte sie sich – vorsichtig, damit er ja nicht aufwachte – unter seinem Körper hervor. Sie betrachtete ihn, wie er dalag. Jetzt, da sein grausamer Wille schlief, war er ein Bild der Seligkeit. Vielleicht lag es daran, dass sie kurzsichtig war, aber auch diesmal erkannte sie wieder eine Art Schönheit in ihm – der Schwung seiner Augenbrauen, die Kontur seiner Lippen. Aber es war die Schönheit einer prachtvollen exotischen Blume, die nach Tod stank.
Sie schlüpfte aus dem Schlafzimmer und schlich, eine Duftspur aus Sex und Neroli hinter sich herziehend, nackt durch den Flur. Sie öffnete die erste Tür, zu der sie kam, und entdeckte ein weiteres Schlafzimmer. Sie hatte vor, irgendwo ein Fliegengitter zu öffnen und aus dem ersten Stock ins Freie zu springen.
In der Hoffnung, etwas zum Anziehen zu finden, öffnete sie den Kleiderschrank. Das Erste, was sie darin sah, waren die Kostüme, die Stephen anlegte, wenn er unerkannt ausgehen wollte – Sam Miller und der Zirkusvater: Jeansjacken und Day-Glo-T-Shirts. Dahinter erspähte sie etwas, dessen Anblick sie erschrocken innehalten ließ: eine braune UPS -Uniform. Neben der Uniform hing eine khakifarbene Kombination, wie sie vielleicht der Wachmann auf einem Supermarktparkplatz tragen würde. Sie runzelte die Stirn und versuchte zu begreifen, wie um alles in der Welt …
Doch dann erstarrte sie, fassungslos angesichts dessen, was als Nächstes im Schrank zum Vorschein kam. Auf dem allerletzten Bügel hingen ein schmutziger beigefarbener Damenmantel mit einem braun-türkis gewürfelten Seidenschal und eine Plastiktüte. Voller Entsetzen griff Lara in die Tüte. Sie zog eine mausbraune Perücke, eine Schildpattsonnenbrille mit ovalen Gläsern sowie eine hellbraune Schirmmütze heraus. Sie inspizierte die Perücke. An mehreren Stellen waren die Haare von einer Substanz verklebt, die wie Blut aussah.
Auf diesem Bügel hing Elizabeth Sanders – oder das, was noch von ihr übrig war.
Hatte Stephen das gemeint, als er behauptet hatte, sie bräuchten sich um Sanders keine Sorgen mehr zu machen? Lara drehte sich der Magen um. Wozu war dieser Mann, den sie zu kennen geglaubt hatte, fähig?
Doch zum Grübeln war keine Zeit. Sie musste handeln. Sie warf sich den schmutzigen Mantel über, huschte zum Fenster und entriegelte es. Es ließ sich problemlos öffnen. Das Fliegengitter stellte ein größeres Hindernis dar. Es schien am Fensterrahmen festgenagelt zu sein. Auf Knien durchwühlte Lara den Kleiderschrank und fand schließlich einen hölzernen Baseballschläger, den sie mit beiden Händen packte und gegen das Fliegengitter drückte, so dass sich der Draht nach außen wölbte. Sie merkte, dass mehr Kraft nötig war, und in ihrer Verzweiflung schlug sie mit dem Schläger auf die Ecken des Gitters ein, um es vom Fensterrahmen zu lösen. Nach dem dritten Schlag fiel das Fliegengitter heraus und landete rasselnd draußen auf der Erde. Lara war schon halb zum Fenster hinausgeklettert, als hinter ihr die Tür aufflog und Stephen hereinkam. Er war nackt und zielte mit seinem Gewehr auf sie.
Sie hatte es vermasselt.
»Was machst du da, Lara?« Er packte sie und zerrte sie ins Zimmer zurück, dann schleuderte er sie vor dem Kleiderschrank zu Boden, so dass sie mit dem Gesicht auf der blutverschmierten Perücke landete.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, schrie sie und krallte ihre Finger in die synthetischen Haare. Jeder Gedanke an Verstellung war verflogen. »Was hast du mit Elizabeth Sanders gemacht?«
»Nichts, was sie nicht verdient hätte«, gab er zurück und hob das Gewehr, so dass der Lauf genau auf Laras Kopf zielte. »Und jetzt zieh diesen widerlichen Mantel aus.«
»Aber was ist das hier alles?« Die Perücke weiterhin in der Hand haltend, griff Lara nach
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