Hautnah
dem Auto stieg. Sie holte gerade etwas aus dem Kofferraum, und der für Brighton typische Seewind peitschte ihr die Haare. »Das war letztes Jahr. Dieses hier ist ein bisschen älter. Sie haben mir Abzüge geschickt. Ich habe sie eingescannt, für meine Unterlagen.« Er blätterte zu einem Bild, auf dem sie den mit Tüten behängten Zwillingskinderwagen den Hügel zu ihrem Haus hinaufschob. »Da hattest du gerade deine Weihnachtseinkäufe gemacht. Du hast dein Kreditkartenlimit ganz schön überzogen. Böse Lara.«
»Aber ich hatte keine Ahnung …«
»Natürlich nicht.« Er lachte. »Das ist ja der Sinn der Sache. Und dann, mit der Zeit, wurden die zwei immer größer …« Er rief ein Foto von Bella auf, das sie im Alter von etwa dreizehn Jahren zeigte, wie sie in Schuluniform an einer Bushaltestelle über ihr Handy gebeugt dastand. »Und plötzlich sah sie immer mehr aus wie du.« Sein Finger verweilte auf dem Foto. »Genau wie du. Und er, der Schlingel …« Das nächste Bild zeigte Olly, der in Badehose und mit einer verräterisch dicken Selbstgedrehten zwischen den Fingern am Strand saß. Seinem Aussehen nach zu urteilen, musste das Foto im vergangenen Sommer aufgenommen worden sein. »Also, wie kann dir da nicht der Verdacht gekommen sein, dass ich sein Vater bin?« Stephen hob die Hände, so dass sie einen Rahmen um sein Gesicht bildeten, und setzte exakt dieselbe Miene auf wie Olly auf dem Foto. Dann zuckte er mit den Schultern und lächelte Lara an.
Sie sah auf ihre Hände herab, die so fest ineinander verkrallt waren, dass sich ihre Knöchel blau verfärbt hatten. Ein Gefühl der Scham senkte sich über sie wie ein Leichentuch. Sie hatte nicht den leisesten Schimmer gehabt, dass ihre Familie beschattet wurde. Nicht den Hauch einer Ahnung.
»Aber schau dir an«, sagte Stephen, nun wieder großmütig, »was für ein Mann ich bin. Ich hatte so viele Beweise in der Hand, und trotzdem habe ich abgewartet, bis sie sechzehn waren. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht.« Er hob ihre Haare an, um sie auf den Hals zu küssen. »Ich habe sie in Ruhe ihre Prüfungen machen lassen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich wollte, dass sie die besten Zukunftsaussichten haben.«
»Das war sehr rücksichtsvoll von dir.« Lara versuchte, ihre Angst herunterzuwürgen.
»Allerdings.« Er ließ den Kopf an ihre Schulter sinken.
»Aber was ist mit Jack?«, fragte Lara. Bei dem Gedanken an ihren kleinen Sohn schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie wünschte sich, sie wäre wieder daheim in Brighton, läge mit ihm zusammengekuschelt im Bett, in der Sicherheit und Geborgenheit ihres kleinen Hauses, und läse ihm eine Gutenachtgeschichte vor. Aber dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass es ihr nur sicher erschienen war. Unsichtbare Augen hatten jede ihrer Bewegungen verfolgt.
»Ich weiß«, sagte Stephen. Er stieß einen schweren Seufzer aus, fasste sie bei den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »Aber wie lange soll ich noch warten, Lara? Wann bekomme ich endlich die Chance auf ein bisschen Glück?« Er lächelte. »Aber die Abtreibung war wirklich eine gute Entscheidung, findest du nicht auch? Sonst wärst du jetzt schwanger, und das hätte die ganze Angelegenheit ein wenig verkompliziert.«
Lara schloss die Augen. Ihr war speiübel. Speiübel und kalt.
»Und ich weiß, dass du nicht glücklich bist. Du sitzt nachmittags auf dem Sofa und trinkst Wein. Streitest dich ständig mit ihm.« Er blätterte zu einem neuen Bild, das sich auf die Berührung seines Fingers hin in Bewegung setzte.
»Ich bin nicht sauer, wenn du mir die Wahrheit sagst«, hörte Lara sich auf dem Bildschirm in seiner Hand sagen.
»Okay. Also, du, na ja, du quillst hier und da ein bisschen raus«, antwortete Marcus’ Stimme.
»Ich finde, du sahst wunderschön aus«, sagte Stephen und hielt das Video an der Stelle an, wo sie in dem engen rosafarbenen Kleid mit verletztem Blick in ihrem Schlafzimmer stand.
»Wie?«
»Laptop. Der Router, den ich dir geliefert habe – das war ein ziemlich cleverer Einfall. Es war, als befände ich mich direkt in deinem Computer. Ein sehr schöner Ort.«
Der Router, den er ihr geliefert hatte? Das bisschen, was noch von Laras Kampfgeist übrig war, verrieselte wie die letzten Körnchen in einer Sanduhr.
»Armes Ding, du hast ja eine Gänsehaut«, stellte Stephen fest. »Hier, nimm das.« Er streckte sich und zog ein Rehfell von der Rückenlehne des Sofas. »Fell auf Haut«, murmelte er, als er
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