Hautnah
Irrtum zu glauben, dass Olly nicht wusste, wohin sie unterwegs waren. Im Gegenteil: Er wusste es sogar sehr genau.
43
D as Erste, was Lara wahrnahm, als sie aufwachte, war, dass sie ihre Arme nicht spüren konnte. Nach einer Weile merkte sie, dass es daran lag, dass ihre Hände hinter dem Rücken eng mit etwas Metallenem gefesselt waren. Ihr Bein allerdings spürte sie sehr wohl. Der Schmerz pendelte zwischen dumpf und reißend, als würde ein auf der falschen Wellenlänge eingestelltes Radio abwechselnd lauter und leiser gedreht.
Stephens Gesicht erschien über ihr. Er lächelte auf sie herab wie ein liebenswürdiger Onkel.
»Ah, da bist du ja wieder«, sagte er und strich ihr übers Haar. »Ich hatte schon angefangen, mir Sorgen zu machen.«
Sie sah, dass der Schnitt an seiner Wange mit Leukostrips beklebt war.
»Jetzt kann ich nur noch die Bösewichte spielen«, erklärte er und betastete die Wunde. » Scarface Teil zwei.«
Lara wollte sich aufrichten, aber selbst wenn ihr Kopf nicht zu sehr weh getan hätte, um ihn vom Kissen zu heben, wäre das unmöglich gewesen, denn sie war mit Gurtbändern am Bett fixiert.
»Bitte mach mich los«, krächzte sie.
»O nein, nicht das schon wieder«, seufzte Stephen. »Ist dir klar, Lara, wie viele Frauen buchstäblich bereit wären, einen Mord zu begehen, um da zu sein, wo du dich gerade befindest? Hier bei mir? Du solltest mir dankbar sein. Ich habe dich aus der schalen Farce deiner Ehe befreit.«
»Ich kann meine Arme nicht fühlen«, sagte Lara. »Bitte, mach mich los.«
»Oh, ich glaube nicht, dass ich das tun kann, Schatz. Nicht nach deinem kleinen Ausflug heute Nachmittag. Ich vertraue dir nicht, verstehst du? So leid es mir tut.« Er beugte sich vor, berührte sie an der Schulter und fuhr dann mit der Hand weiter den unter ihrem Körper gefangenen Arm entlang. »Ah, verstehe. Du liegst auf deinen Händen. Das ist bestimmt sehr unbequem.«
Er kniete sich auf ihren Bauch, damit sie sich nicht bewegen konnte, und löste die Gurtbänder. Während er sie aufs Bett drückte, rollte er sie gleichzeitig herum. Sie stieß einen Schrei aus, als ihr Bein so unvermittelt bewegt wurde.
»Tut mir leid«, sagte er. »Armes kleines Bein.«
Er wartete, bis sie aufgehört hatte zu keuchen. Dann setzte er sich rittlings auf sie, band ihr die Hände los, nahm ihre Arme und streckte sie im rechten Winkel zu ihrem Körper nach beiden Seiten aus.
»Ist es so besser?«
»Ja«, sagte Lara, ihre Stimme gedämpft vom Kopfkissen. Als das Blut in ihre Finger zurückfloss, war das Stechen und Kribbeln fast unerträglich, aber er hatte recht, es war besser, als weiterhin auf ihnen zu liegen.
»Na dann.« Stephen griff nach etwas an der oberen Ecke des Betts. »Gut, dass ich die hier habe. So ist es mit Sicherheit viel bequemer für dich.«
Verzweiflung machte sich in Lara breit, als sie das Rasseln von Ketten vernahm. Sie hörte das Einrasten von Metall, als Stephen die Handschellen erst um ihr linkes, dann um ihr rechtes Handgelenk schloss. Rasch sprang er auf und machte dasselbe mit ihren Fußknöcheln, so dass sie nun mit gespreizten Gliedern und dem Gesicht nach unten auf der Matratze lag.
»Und jetzt, Lara«, verkündete er, kletterte von ihr herunter und strich mit den Händen ihre Beine hinauf über ihren Hintern, »werde ich deine unentdeckten Gefilde erobern.«
Hinterher lag er endlich still, noch immer in ihr, Schweiß an Schweiß. Blut und Tränen vermischten sich mit seinem Samen. Lara blieb ein kurzer Moment, um sich zu fragen, was bei alldem aus ihr geworden war. Dann schaltete sich ihr Bewusstsein gnädigerweise ab, erlöste sie von dem Schrecken namens Stephen Molloy und stürzte sie in eine Art Vergessen.
44
E gal wie sehr Bella sich auch wünschte, dass es den umgestürzten Baum wirklich gab – Ginas Mann hatte die Wahrheit gesagt. Das einzige Hindernis auf der Straße war der von einem Auto zermalmte Kadaver eines Rehkitzes.
Sean lenkte den Nissan mit knirschenden Reifen den staubigen Pfad bis zu Stephens Tor hinauf und stellte den Motor ab. Bella stieg aus, und er folgte ihr.
Eingehüllt in die Staubwolke, die der Wagen aufgewirbelt hatte, betrachteten sie die Hindernisse, die es zu überwinden galt. Ein verschlossenes, drei Meter hohes und mit Stacheldraht gespicktes Tor. Ein Zaun, genauso hoch, ebenfalls mit Stacheldraht gespickt. Von Menschenhand errichtete Grenzlinien im Wald, an denen kein Vorbeikommen war. Abgesehen von einem Eingabefeld, auf dessen
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