Hautnah
Wald, als der Pfad endete und sie sich ihren Weg durchs Unterholz bahnen mussten. Hund lief voraus, dicht gefolgt von Jack.
»Läuft Hund überhaupt in die richtige Richtung?«, wollte Bella von Sean wissen.
»Verrückt, aber ja.«
»Pass auf den Giftefeu auf«, warnte Sean, als sie den Abhang hinunterschlitterten. Sie konnten das Gurgeln des Flusses hören, der tief unten im Tal über Steine floss, die von den Hängen hinabgerollt waren. »Angeblich kommt er in diesen Breiten nicht vor, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass er hier im Wald überall wächst.«
»Ich würde Giftefeu nicht mal erkennen, wenn ich drüber stolpere«, gestand Bella.
»Das hast du schnell raus. Schau her.« Er bückte sich und zeigte auf eine harmlos aussehende grünblättrige Ranke, die an einem Baumstamm emporkletterte. »Der Blätter drei, geh vorbei. Wenn du die anfasst, kriegst du in ein, zwei Tagen große Blasen auf der Haut. Es dauert mehrere Wochen, bis sie wieder weggehen, und sie breiten sich auf dem ganzen Körper aus.«
»Igitt.« Der Wald wirkte auf den ersten Blick so friedlich – wie ein englischer Eichenwald. Aber angesichts von Giftefeu, Schlangen, Bären, Kojoten und Pumas, die hinter Bäumen lauern konnten – ganz zu schweigen von ihrer Mutter, die irgendwo da draußen weiß der Geier was mit Stephen Molloy trieb –, konnte man wohl sagen, dass der Schein trog.
Sie stapften den Hang hinab durch Schichten krümeliger Lauberde, bis sie den Fluss erreicht hatten. Über rotbraune Felsen, die verstreut im Wasser lagen, konnte man auf die andere Seite gelangen. Bella musste die ganze Zeit an das Foto von ihrer Mutter und Stephen Molloy denken. Würde sie ihre Mutter wirklich von ihrem Vorhaben abbringen können? Ganz offensichtlich wollte sie ja bei ihm sein. Bella fragte sich, wie lange das zwischen ihnen schon so ging. Sie erinnerte sich noch daran, wie Stephen gesagt hatte, dass sie sich von früher kannten. War ihr »zufälliges Wiedersehen« hier in Trout Island vielleicht nur Show gewesen?
Auf halbem Weg über den Fluss blieb sie stehen.
»Ich glaube, wir sollten umdrehen«, rief sie Sean über das Rauschen des Wassers hinweg zu.
»Was?«, rief der und drehte sich zu ihr um.
»Ich will nicht da hingehen. Ich will von der ganzen Sache nichts wissen. Ich will vergessen, dass ich diese Fotos überhaupt je gesehen habe. Ich will, dass Dad das regelt.«
»Wenn du es so weit kommen lässt, dann ist alles vorbei, das ist dir klar, oder?« Sean balancierte zu ihr zurück und fasste sie bei der Hand. »Und die Fotos wirst du so oder so nicht los.«
Bella schloss die Augen und zog die Brauen zusammen. Er hatte recht. Das Bild von Stephen und ihrer Mutter war so klar und deutlich in ihrem Kopf, als hätte jemand es mit Laser auf die Innenseiten ihrer Augenlider gebrannt.
»Bella«, sagte Sean, während sie auf dem großen Felsen mitten im Fluss standen. »Denk an den Kleinen da.« Mit einem Nicken deutete er auf Jack, der das andere Ufer bereits erreicht hatte, dort auf einem Findling saß und die Arme um seine dreckverkrusteten Knie geschlungen hatte. Hund saß neben ihm. Jack wirkte so klein, sowohl im Vergleich zu dem Tier als auch vor den riesigen Bäumen, die hinter ihm in den Himmel ragten.
»Willst du wirklich seine ganze Welt zerstören?«, fragte Sean.
Bella blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
»Wir müssen unser Bestes versuchen. Das ist unsere Pflicht ihm gegenüber – allen Beteiligten gegenüber.«
Unsere Pflicht, dachte Bella und sah zu Sean auf. Und zu ihrer immensen Erleichterung wurde ihr klar, dass sie, ganz egal, was noch passieren würde, wenigstens nicht allein wäre.
»Jetzt kommt !«, rief Jack ihnen atemlos von seinem Findling aus zu.
»Wir kommen ja!«, rief Bella zurück und sprang zum nächsten Stein.
»Außerdem«, sagte Sean, der sich an ihrem Arm festhielt, als er ihr hinterhersprang, »hast du eine Sache dabei ganz vergessen.«
Bella sah ihn an. Eine Libelle schwirrte geräuschlos zwischen ihnen vorbei, ein Aufblitzen von irisierendem Blau und Grün.
»Wer hat die Fotos gemacht? Und woher wusste derjenige, dass er sie dir schicken musste?«
Bella biss sich auf die Lippe. Wie hatte sie so dämlich sein können? Die Bilder hatten ihr so einen Schrecken eingejagt, dass sie gar nicht weiter darüber nachgedacht hatte, wer Dein Freund sein könnte. In ihrer Dummheit hatte sie sie für Paparazzifotos gehalten, so wie man sie von Stephen und seinesgleichen in jeder
Weitere Kostenlose Bücher