Havanna für zwei
die Frage, aber weshalb habt ihr euch zerstritten?«
Alice schüttelte ungläubig den Kopf. »Im Nachhinein war es ziemlich albern, aber so ist das wohl bei Familienfehden. Sie entzünden sich meist an Kleinigkeiten. Es war, als wir einmal im Sommer zusammen in Cornwall Urlaub gemacht haben. Erinnerst du dich daran?«
»Ja. Damals war es so heiß, dass wir jeden Tag am Strand waren.«
»Ihr Kinder hattet eine tolle Zeit. Unsere beiden Familien hatten eine Menge Spaß – bis zum vorletzten Abend. Wir Erwachsenen hatten zu viel getrunken, und dein Vater und ich waren als Letzte noch auf. Es war alles ganz unschuldig. Er hat mich umarmt und mir gesagt, was für eine tolle Schwägerin ich sei. Wir haben bloß rumgealbert. Doch als deine Mutter in die Küche runterkam und uns so sah, hat sie es falsch aufgefasst.«
»Deshalb mussten wir also einen Tag früher abreisen!«
»Ich fürchte, ja. Als ich Dick am nächsten Tag davon erzählte, hat er nur gelacht. Aber deine Mutter war verärgert und hat mir seitdem nicht mal mehr Weihnachtskarten geschickt.«
Louise lachte leise in sich hinein. Das war ihr neu. »Was für eine Zeitverschwendung!«
»Finde ich auch, aber so ticken Familien eben. Es war gut, dass ich wenigstens zu euch Mädchen Kontakt hatte. Emma war wunderbar und wollte immer vermitteln, aber eure Mum wollte nichts davon wissen.«
»Typisch Emma! Aber sie hat sich verändert.«
»Kann man ihr das verübeln? In so jungen Jahren den Ehemann zu verlieren muss eine traumatische Erfahrung gewesen sein. Ich glaube, eurer Mutter hat das auch zu denken gegeben. Ihr ist klar geworden, dass wir alle sterblich sind.«
»Hast du heute schon was vor?«
»Ich gehe mit deiner Mutter in die Stadt zum Shoppen. Wir wollen verlorene Zeit nachholen.«
»Klingt gut.« Louise wünschte, etwas für ihre Schwestern tun zu können. Aber die Fehde zwischen Emma und Sophie war viel ernster als die zwischen ihrer Mutter und ihrer Tante, und die hatte fast dreißig Jahre gedauert.
Aoife stiegen Tränen in die Augen, als sie die E-Mail las. Er wollte also weglaufen. Ihr ging es nicht gut, seit sie wieder bei ihren Eltern wohnte. Sie behandelten sie wie ein kleines Mädchen. In letzter Zeit hatte sie oft an all die wunderschönen Vormittage gedacht, die sie mit Jack in Greenwich Village verbracht hatte. Sie hatten ein ideales Leben geführt. Warum hatten sie es zerstört, indem sie nach Dublin zurückgekehrt waren und versucht hatten, so zu leben wie ihre Eltern?
Karl war wahnsinnig eitel und derart von seiner Karriere besessen, dass er sie als Trophäe ansah. Sie verabscheute es auch, wie er sich bei ihrem Vater einschleimte. Wäre sie doch nur in New York geblieben! Sie wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Als sie Jack zusammen mit Karl vor dem Haus getroffen hatte, hatte sie das tief erschüttert, und sie wäre ihm am liebsten nachgerannt. Aber zu Jack zurückzugehen hieße, sich von ihren Eltern abzuwenden, und das brachte sie nicht fertig. Aber kurz treffen konnte sie sich doch mit ihm. Wenn sie ihren Eltern nichts davon erzählte, wäre es doch in Ordnung.
Aoife musste raus aus Malahide – dessen war sie sich sicher. Aber konnte sie Jack je wieder vertrauen? Sie wusste es nicht, aber genauso wenig konnte sie den Gedanken ertragen, ohne ihn zu leben. Also klickte sie auf »Antworten« und schrieb zurück.
Emma und Felipe nahmen die Küstenstraße, die um Clontarf herumführte. Die Sonne strahlte vom Himmel, und Emma freute sich darauf, Felipe die Stadt zu zeigen und gemütlich mit ihm in den Cafés zu sitzen.
Bei der Polizeiwache bog sie nach links ab und fuhr durch den Stadtteil East Wall ins Zentrum.
Als sie die New Wapping Street entlangfuhren, fiel ihnen ein demoliertes Auto auf, und schon nach wenigen Sekunden wurde Emma klar, wem es gehörte.
»Ich glaube, das ist Sophies Wagen!«
»Sitzt noch jemand drin?«
»Sieht nicht so aus. Es wundert mich, dass es noch nicht als Verkehrshindernis abgeschleppt wurde. Hoffentlich ist ihr nichts passiert!«
»Du musst sie anrufen.«
Emma war besorgt. Sie hatte Sophie nicht mehr gesehen, seit sie die Party nach dem Streit fluchtartig verlassen hatte. »Ich rufe Louise an.«
Louise ging nur widerwillig ans Telefon, weil sie ihr Gespräch mit Alice nicht unterbrechen wollte. Es war spannend, so viel über ihre Mutter zu erfahren.
»Louise, Emma hier. Wie lautet Sophies Autokennzeichen?«
»04D 2 irgendwas …«
»Ich glaube, es wurde gestohlen.«
Louise
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