Havanna für zwei
einander nur selten zu erklären, was sie meinten. Oft schnitt eine von ihnen unvermittelt ein Thema an, und die anderen wussten genau, wovon sie sprach. Das löste bei ihren Männern große Irritationen aus und war auch die Angewohnheit, die Paul am meisten verabscheut hatte. Wenn er mit Sophie zusammen war, erinnerte sie ihn permanent an seine Frau, indem sie aus heiterem Himmel mit irgendeinem Thema anfing und von ihm erwartete, dass er wusste, worum es ging. Das war nicht das Einzige, was ihn gegen Ende seiner Affäre mit ihr genervt hatte, doch Sophie war völlig ahnungslos, dass zwischen ihr und ihrem Liebsten etwas nicht gestimmt haben könnte. Ihrer Meinung nach hatte das Schicksal ihn ihr ebenso grausam entrissen wie ihrer Schwester.
An Paul zu denken war etwas ganz anderes als die Träumereien, denen sie sich jetzt auf der sonnigen Terrasse des Fünf-Sterne-Hotels am Strand von Varadero hingab. José war ein Bild von einem Mann mit dem Körper eines Adonis, doch ihre Gefühle für ihn würde sie nach ihrer Rückkehr nach Dublin mehrere Tausend Meilen auf der anderen Seite des Atlantiks zurücklassen. Er hatte keine Zukunftsaussichten und war kein Kandidat für eine feste Beziehung, aber eine Urlaubsromanze kam durchaus in Frage. Nur schade, dass sie ihn erst getroffen hatte, als sie schon im Begriff war, Varadero zu verlassen. Nach der stummen Trauer, die sie nach Pauls Tod hatte ertragen müssen, hatte sie eine kleine Liebelei verdient.
»Das ist eine sehr nette Familie«, meinte Emma und knüpfte unbewusst an Sophies Gedanken an. »Sehr gastfreundlich. Mir war es schrecklich peinlich, als Dehannys’ Mutter für das Essen kein Geld von uns wollte.«
Sophie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie weiß ja, dass ihre Tochter im Hotel von dir fette Trinkgelder bekommt. Da war das Essen eine gute Investition.«
Emma sah ihre Schwester wütend an. »Musst du jedem, der nett zu dir ist, irgendwelche Hintergedanken unterstellen?« Aber mit Sophie zu diskutieren war zwecklos.
Mit großen, unschuldigen Augen schüttelte Sophie ihre lange Lockenpracht. »Du bist einfach zu naiv, Emma. Das warst du schon immer!«
Emma ließ es auf sich beruhen. Immerhin musste sie es noch länger auf der größten Insel in der Karibik mit ihrer Schwester aushalten. Da hatte es keinen Sinn, mit ihr zu streiten. Bisher war der Urlaub recht gut verlaufen, und Sophie war erstaunlich locker gewesen, doch nachdem sie am Abend zuvor Dehannys’ Bruder kennengelernt hatten, wusste Emma, dass ihre Schwester nicht ruhen würde, bis sie ihn auf die Liste ihrer Eroberungen setzen konnte.
»Ich hab José gesagt, dass wir heute Abend vielleicht in das Hotel kommen, in dem er spielt«, verkündete Sophie in einem Tonfall, der wie eine Frage klang.
Emma nickte. Die Entscheidung war sowieso schon gefallen, da hatten Einwände keinen Sinn mehr. Sie schnitt sich ein großes Stück von einer Riesenscheibe Ananas ab und steckte es sich in den Mund. Ihre Ernährung war erstaunlich gesund, seit sie auf Kuba waren, doch der weiße kubanische Rum schmeckte ihr ein wenig zu gut. Normalerweise schlürfte sie schon um zwölf ihren ersten Mojito an der Pool-Bar und hörte den ganzen Tag nicht mehr damit auf. Egal wie stark der Barkeeper den Drink mixte, sie fühlte sich nie betrunken und fragte sich langsam, ob sie gegen das alkoholische Getränk schon immun wurde. Das Schreiben ging ihr leicht von der Hand, und sie hatte bereits vierzigtausend Worte geschafft. Der Tapetenwechsel tat ihr wirklich gut, und ihr wurde klar, dass sie hier, fern von der Heimat, endlich glücklich und zufrieden arbeiten konnte, ohne alle fünfzehn oder zwanzig Minuten an Paul denken zu müssen. Es war sehr erholsam, und da sie hier außer Sophie niemand kannte, plagten sie auch keine Schuldgefühle. Vielleicht sollte sie öfter verreisen! Finn hätte sicher nichts dagegen, mehr Zeit bei seinem Cousin zu verbringen.
Sophie stand auf. »Okay. Ich geh dann mal los, um meine Bräune aufzufrischen.«
»Ich komme auch gleich. Ich mache nur einen kurzen Spaziergang, bevor ich mich zum Schreiben hinsetze.«
Sie sah Sophie nach, die, ihre Strandtasche lässig über der Schulter, davonspazierte. Sie war wirklich bildschön.
Als kleines Mädchen hatte Emma ihr Schwesterchen über alles geliebt. Sie freute sich über die echte, lebendige Puppe, um die sie sich kümmern konnte und die sie füttern durfte, wenn ihre Mutter es ihr erlaubte. Damals war es ihre Aufgabe, Sophie vor
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