Havanna für zwei
um bei Sonnenuntergang zu Abend zu essen«, erklärte er und deutete auf ein sehr europäisch wirkendes Innenhofrestaurant. »El Patio. Es gehört natürlich der Regierung, wie alles andere, aber in seiner Glanzzeit vor über einem Jahrhundert muss es ziemlich spektakulär gewesen sein.«
»Ja – wirklich merkwürdig, dass hier alles der Regierung gehört. Ich war noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa, und obwohl dort auch der Kommunismus herrschte, war die Atmosphäre ganz anders als hier.«
»Es gibt nichts auf der Welt, was sich mit Kuba vergleichen ließe. Castro hat sich die größte Insel in der Karibik zu eigen gemacht. Nicht alles, was er getan hat, war gut, aber es war auch nicht alles schlecht. Lassen Sie das bloß nicht meine Mutter hören.«
»Will sie irgendwann zurückkommen? Vielleicht nur zu Besuch?«
»Nein. Sie verabscheut das Gefühl, dass sie die Möglichkeit dazu hat, aber so viele andere nicht. Sie sagt, dass sie Glück hatte, weil sie meinen Vater getroffen hat, einen großen weißen Kanadier, der sie mit in ein besseres Leben nahm. Aber ich glaube, insgeheim vermisst sie das alles.«
Emma gefiel seine Art sehr. Nicht viele Männer wären so offen zu einer Frau, die sie erst vor wenigen Minuten kennengelernt hatten. Andererseits waren dies auch keine gewöhnlichen Umstände, und sie konnte schon jetzt sagen, dass Greg kein gewöhnlicher Mann war.
Das gelbe Schild, auf dem in fetten schwarzen Lettern die Aufschrift Bodeguita del Medio aufgemalt war, stach in der Calle Emperado hervor wie eine Vision.
»Hier hat sich Hemingway gern den ersten Mojito des Tages genehmigt«, erklärte Greg und öffnete die Lamellentüren, die zu der beengten Bar führten, in der sich die Touristen drängten.
Zuerst dachte Emma, die leuchtend blauen Wände wären mit Schreibschrifttapete tapeziert, doch bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass die mit dunkelblauem Filzschreiber hingekritzelten Unterschriften von den Restaurantgästen stammten.
»Kommen Sie«, sagte Greg und führte sie in den Essbereich im hinteren Teil des Gebäudes. »Unterschreiben können Sie später, eh?«
Der Essbereich schien aus mehreren kleinen Räumen zu bestehen, die durch große Arkaden verbunden waren. Selbst an den allerhöchsten Stellen der Wände hatten Gäste unterschrieben. Miguel aus Venezuela war 2001 dort gewesen, Maria Cruz aus Madrid 2004 und viele andere Namen waren in so vielen Sprachen und Schichten dort hinterlegt worden, dass sie an der Wand zu unregelmäßigen Mustern verschmolzen.
Sie setzten sich an den einzigen freien Zweiertisch, und der Kellner stürzte sich sofort auf sie.
» Buenas tardes . Zu trinken?«
»Dos mojitos, por favor« , sagte Greg.
Emma senkte den Blick auf ihr Papier-Set, das auch als Speisekarte diente. Oben waren die Buchstaben B del M aufgedruckt, in demselben naiven Stil, in dem sie auch über die Theke gemalt waren, an der sie auf dem Weg hinein vorbeigekommen waren. Die Einrichtung war in einer Mischung aus dunklem Holz und leuchtend blauer Farbe gehalten, und von den gewölbeartigen Decken hingen Kronleuchter.
»Hier gefällt’s mir«, rief Emma aus, als in der Ecke ein Trio zu musizieren begann.
»Bevor wir gehen, müssen wir noch auf die Wand schreiben.«
»Wenn wir eine freie Stelle finden.« Emma fuhr mit den Fingern über die unzähligen Unterschriften an der Wand, an der sie saß. »Die Leute müssen Leitern benutzt haben, um bis ganz oben unter die Decke zu kommen!«
Greg nahm einen blauen Marker aus dem Topf auf dem Tisch.
»Ich wette, Emma aus Irland lässt sich noch irgendwo hinquetschen.«
»Danke«, antwortete sie, nahm den Markierstift in die Hand und suchte nach einer freien Stelle. »So was hab ich noch nie gesehen. Ich bin froh, dass ich Ihnen über den Weg gelaufen bin.«
»Kuba ist ein fantastisches Land«, schwärmte Greg. »Die Menschen sind so freundlich. In Kanada würde ich niemals eine Fremde zum Mittagessen einladen, und sie würde die Einladung wahrscheinlich auch nicht annehmen, so wie Sie, aber wenn ich in Havanna bin, werde ich von seltsamen Schwingungen ergriffen.«
Emma wusste, was er meinte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass irgendeine Frau eine Einladung von Greg zum Mittagessen oder zu sonst etwas ablehnen würde. Sie hatte das Gefühl, am Rand eines Abgrunds zu stehen – wenn auch an einem anderen als dem, an dem sie sich in den vergangenen sieben Monaten verzweifelt festgeklammert hatte.
Während sie ihren Namen
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