Havanna für zwei
Gelegenheiten, wenn Sophie sich schlecht fühlte, weil sie Emma derart hintergingen, meinte Paul nur verächtlich: »Ist dir eigentlich klar, wie nett ich zu deiner Schwester bin? Vor dieser Affäre war ich ein echter Scheißkerl. Dir ist es zu verdanken, dass ich ein viel netterer Mensch geworden bin!«
Das nahm Sophie ihm nicht ab. Um ihn zu beschreiben, hätte sie nie das Wörtchen »nett« gewählt. »Pingelig«, »exakt«, »zwanghaft«, »aktiv« und eindeutig »talentiert«, aber »nett« war Paul nicht. Das Schreckliche daran war, dass Emma bei der Trauerfeier in der Kirche genau dieses Wort gebraucht hatte, um ihren Mann zu beschreiben. Das zeigte nur, wie wenig sie ihn eigentlich kannte.
Sophie trank aus der Wasserflasche und schluckte eine Paracetamol-Tablette. Noch ein paar Stunden im Bett, und sie wäre bereit, sich Havanna zu stellen.
Als Emma den großen Platz Parque Central verließ und das Kopfsteinpflaster der Calle Obispo betrat, wusste sie, dass es bis zu ihrem Ziel nicht mehr weit war. Die Häuser stammten noch aus der Kolonialzeit und zerbröckelten; es war das Habana Vieja, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sporadische Ausbesserungen mit rosa und blauer Farbe ließen die alternden Gebäude freundlicher wirken. Einige Türen waren kunstvoll aus Metall gearbeitet und mussten in ihrer Glanzzeit wunderschön ausgesehen haben.
In manchen Eingängen saßen alte Leute und schauten geschützt vor Hitze und Sonne heraus. Ein paar Kinder rannten Emma fast um, weil sie sie beim Fangenspielen gar nicht bemerkten. Zwei von ihnen trugen keine Schuhe. Der Gestank aus der Kanalisation oder von den Müllkippen – Emma war sich nicht sicher, woher er kam – hing über den Gehsteigen. Am Ende der Straße kam die riesige rosafarbene Fassade in Sicht, die in ihrem Reiseführer perfekt beschrieben war, und da wusste sie, dass sie das nächste Ziel ihrer Hemingway-Pilgerfahrt erreicht hatte.
Ernest Hemingway hatte einige Zeit im Ambos Mundos Hotel gewohnt, bevor er sich in La Finca Vigía niederließ, und sie hatte den sehnlichen Wunsch, seine Aura zu spüren, als sie durch die Türen des kleinen luftigen Luxushotels trat. Sie wurde nicht enttäuscht.
Nach nur wenigen Schritten ins Foyer stand sie in einem hell erleuchteten Thekenbereich. Der Barkeeper trug ein weißes Hemd mit einer schwarzen Fliege, was ihn optisch in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zurückversetzte. Jalousien mit schmalen Lamellen ließen gesprenkeltes Licht durch die hohen Fenster, und vereinzelte Palmen in riesigen Keramiktöpfen trennten den Bereich zwischen Bar und Foyer.
Emma lächelte dem Barkeeper zu und lief zu einer Wand, die mit Fotografien von Ernest Hemingway übersät war. Die Bilder waren in allen Nuancen aus Schwarz, Grau und Sepia und hingen gerahmt auf olivgrüner Tapete. Auf einem der Fotos holte Hemingway gerade einen Fisch ein, auf einem anderen schüttelte er Castro die Hand, und wieder auf einem anderen aß er mit Freunden Hummer, was Emma ganz neidisch auf das exotische und kultivierte Leben machte, das er geführt hatte. Ein kleines Schild an der Wand wies darauf hin, dass Touristen für eine Gebühr von zwei Dollar das Zimmer besichtigen konnten, in dem Hemingway in den dreißiger Jahren eine Zeit lang gewohnt hatte. Doch zunächst wollte sie etwas trinken. Draußen war es heiß und staubig, und die Bar und das freundliche Gesicht des Barkeepers wirkten sehr einladend.
»Buenas tardes, señorita« , begrüßte er Emma mit einem Lächeln, als sie sich auf einen Barhocker setzte. »Sie wünschen?«
»Ein Mineralwasser – con gas, por favor .«
Er schenkte ihr professionell ein und tat Eis und eine Limonenscheibe dazu.
»Gracias« , sagte sie und trank genüsslich einen Schluck.
»Sie kommen, um Hemingways Haus zu sehen?«
»Sí« , nickte sie.
Während sie sprach, kam eine große, schlanke Gestalt zur Bar geschlendert. Der Mann trug ein weißes Aertex-T-Shirt, und seine Haut ähnelte glatter Milchschokolade. Seine dunkelbraunen Augen glänzten und wurden groß, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
Er war der schönste Mann, den Emma je gesehen hatte.
»Buenas tardes, Marco!« , begrüßte er den Barkeeper. »Una cerveza, por favor!«
» Sí , Señor Adams – Sie haben einen guten Tag?«
»Sehr gut, Marco.« Sein Akzent veränderte sich, wenn er Englisch sprach, und da war eindeutig ein amerikanisches Näseln zu hören.
Der Mann wandte sich an Emma und nickte höflich,
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