Havelgeister (German Edition)
war.
»Schön, Sie wiederzusehen«, sagte Bremer ohne Manzetti anzusehen.
Der hob misstrauisch den Kopf. »Ist nicht Ihr Ernst, oder?«
»Doch. Als ich erfahren habe, dass Sie aus Italien zurückgekehrt sind, habe ich mich richtig gefreut.« Bremer, der mit dem Gesicht zum Toten stand, machte eine Pause und hob ganz langsam den Kopf. Pass gut auf, was jetzt kommt, konnte das heißen.
»Ich hatte nur gehofft, dass Sie mal bei mir vorbeischauen würden, mein lieber Manzetti. Ich meine, einfach so aus alter Verbundenheit.« Jetzt erst drehte sich Bremer um und sah Manzetti aus anklagenden Augen an.
»Ich hatte es vor, Bremer. Wirklich. Aber …«
»Was aber?«, spie der Rechtsmediziner aus.
»Aber ich hatte auch Angst davor.«
Bremer lachte kurz auf. »Vor mir? Sie hatten vor mir Angst? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein. Ich hatte auch keine Angst vor Ihnen …«, stammelte Manzetti und kam sich bei seinem Erklärungsversuch vor, als liefe er mit wackligen Stelzen über einen frisch gewischten Fliesenboden. »Oder vielleicht doch …« Aus purer Verzweiflung klatschte er seine flache Hand an die grünen Kacheln. Das Echo hallte durch den ganzen Saal. »Verdammt, Bremer«, sagte er. »Ich mache mir Sorgen um Ihren Zustand. Das ist doch nicht verboten, oder?«
»Ah, ich verstehe. Sie haben gedacht, nachdem Sie sich aus dem Staub gemacht haben, ist der alte Bremer vollends unter die Räder gekommen und pisst sich schon am Vormittag in die Hose.« Bremer schüttelte heftig den Kopf. »Nein, mein Lieber«, sagte er. »Ich bin, was den Alkohol betrifft, zwar immer noch nicht trocken, aber es hat sich auch nicht verschlechtert. Es gibt wohl keine Erklärung dafür, aber ich scheine irgendwie in der Lage zu sein, meinen Pegel recht stabil zu halten.«
Manzettis Blick suchte die ihm gegenüberliegende Fensterfront. Aber es nützte nichts, er war hier drinnen gefangen, es gab keine Chance, Bremers Anklage zu entkommen.
»Und genau davor hatte ich Angst«, gab er schließlich seine Gefühlswelt preis. »Seit ich mit meiner Familie über den Brennerpass gefahren war, habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, ob Sie es endlich geschafft haben oder noch immer an der Flasche hängen. Ich wollte keine Enttäuschung. Können Sie das nicht verstehen?«
Bremer gestikulierte wie ein Lehrer, der den Schüler auf dem richtigen Weg wähnt, aber noch ein bisschen nachhelfen muss. »Sie haben die Frage also mit ja beantwortet. Ja , Bremer hat es geschafft, haben Sie sich eingeredet.«
Manzetti nickte. Er hatte es sich so sehr gewünscht.
»Das war leichtsinnig, mein Lieber. Und dazu war es auch noch dumm von Ihnen.«
Jetzt zog Manzetti leicht verstört die Augenbrauen zusammen.
»Wieso dumm?«
»Ich habe die Stunden mit Ihnen genossen, weil wir so herrlich miteinander philosophieren konnten. Aber nun scheinen Sie der italienischen Mittelmäßigkeit anheim gefallen zu sein.«
Manzetti rang mittlerweile um Fassung. Einen ähnlichen Vorwurf hatte er zuletzt während seiner Schulzeit von seinem deutschen Vater gehört. Er rieb die Backenzähne gegeneinander.
»Könnten Sie etwas deutlicher werden?« Er war nun misslaunig. »Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen?«
»Wirklich nicht?« fragte Bremer mit spitzer Zunge. »Manzetti, Sie haben sich nicht nur die Frage gestellt, ob ich es geschafft habe. In Ihnen hat sich sogar die Überzeugung aufgebaut, dass es so ist. Ansonsten hätten Sie bloß bei mir reinschauen müssen, um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden. Aber Sie hatten Angst vor sich selbst und vor Ihrer Überzeugung, die von einem Moment auf den anderen zusammenbrechen könnte.« Bremer machte eine Pause und sah Manzetti nun an wie eine listige Elster. »Habe ich Recht?«
»Vielleicht?«
»Und dann haben Sie beschlossen, mir lieber aus dem Weg zu gehen, um Ihre Illusion von einem sauberen Bremer so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.« An dieser Stelle atmete Bremer tief ein, dann fielen seine Mundwinkel nach unten. »Und das haben Sie sogar bis zur letzten Minute ausgeschöpft.«
»Wie meinen Sie das nun schon wieder?«
Bremer hob fragend die Hände. »Früher sind Sie an einem Tatort immer erst zu mir gekommen, bevor Sie mit irgendwem anderen gesprochen haben. Heute aber sind Sie erst erschienen, als es gar nicht mehr anders ging. Sie sind lange im Dunkeln stehen geblieben und haben den anderen tatenlos zugesehen. Das war kein richtiger Manzetti.«
Manzetti versuchte die noch immer aufkeimende
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