Havelgeister (German Edition)
Wut hinunterzuschlucken. Es gelang ihm schlecht, ein beißender Kloß verstopfte seinen Hals. Es blieb ihm nichts weiter, als leise vor sich hinzuschnaufen.
Mit jedem Atemzug beruhigte er sich aber wieder. Keine Sekunde ließ er Bremer aus den Augen. Hatte er Bremers Gefühle, die der ihm gerade offenbart hatte, früher bloß nicht erkannt oder hatte der Rechtsmediziner sie bisher so geschickt verborgen? Mitten in Manzettis Überlegungen erhob der Rechtsmediziner seine Teetasse. »Es wurde höchste Zeit, dass Sie aus dem Apennin wieder in unsere Breiten gewechselt sind. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät und wir können Ihre schleichende Verdummung noch stoppen«, schlug er vor. »Zum Wohl, Manzetti.«
Der weigerte sich noch, den Tee zu trinken. Erst musste diese Beleidigung ausgeglichen werden. »Was meinen Sie mit Verdummung?«
Bremer hob erneut beide Hände. »Ich hoffe, dass Ihr Fehler, eine Überzeugung zu einer Wahrheit zu machen, nicht zum Dauerzustand wird. Das passt nicht zu einem Mann wie Ihnen, oder ist der Herr Hauptkommissar auf Mamas Bitte hin wieder aktiver Katholik geworden?«
Manzetti zog die Schnur des Teebeutels, der wie eine Angelpose mal oben schwamm, um gleich wieder abzutauchen, durch Daumen und Zeigefinger. »Nein, ich bin kein Katholik geworden. Aber mir ist in der Toskana etwas anderes klar geworden.«
»Und das wäre?«
»Ich hatte noch in Erinnerung, dass einige Ihrer Ideen ganz brauchbar sind.«
Manzetti sah zu Bremer, wie sonst nur zum Fernseher, wenn dort der Star der italienischen Nationalmannschaft zum Elfmeter antrat. Er brauchte den alten Kauz nicht nur beruflich, sondern auch zum Reden. Neben Kerstin war Bremer der einzige Vertraute, den er hatte. Auch wenn diese Vertrautheit bislang noch auf tönernen Füßen stand. Und auch das hatte Kerstin schon nach einem Monat in der Toskana gespürt. Als er immer stiller geworden war und sich kaum noch an dem oberflächlichen Geschwafel seines Familienclans beteiligt hatte, hatte sie sogar empfohlen, Bremer anzurufen, was Manzetti aber vehement abgelehnt hatte.
Er hob nun auch die Teetasse. »Ich brauche dich, du alter Saufsack«, sagte er mit ein wenig feuchten Augen.
Bremers Mundwinkel verschoben sich und seine blassblauen Augen fingen ebenfalls an zu glänzen. »Ich dich doch auch, du italienischer Gastarbeiter. Skål.«
Beide Nasen tauchten in die massiven Becher und nach knapp fünf Sekunden war es Manzetti, der als erster und ziemlich heftig reagierte. »Oh, oh, oh!« Er machte ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »In welchem Mischungsverhältnis steht der denn?«
Bremer grinste nur über so viel Naivität. In seine Augen war der alte Schalk zurückgekehrt. »Zwei Stunden solltest du schon warten, bevor du dich wieder hinters Steuer setzt.«
Dem hatte Manzetti nichts entgegenzusetzen und wedelte sich mit der flachen Hand Luft zu. »Und warum plötzlich skål?«
Bremer stellte die Tasse neben den Kopf des toten Nepomuk Böttger, als wäre das die normalste Sache der Welt. »Ich lerne an der Volkshochschule Schwedisch. Hab mir gedacht, wenn du dir das Land deiner Träume suchst, warum kann ich das nicht auch? Und die Trinkgewohnheiten der Schweden sind wie für mich gemacht. Die ganze Woche über gar nichts und am Wochenende bis zum Stehkragen.«
Manzetti zeigte auf die Tasse. »Und das hier? Wenn ich mich nicht irre, ist heute erst Dienstag.«
»Schon. Und normalerweise hätte ich auch erst am Freitag wieder etwas getrunken. Aber ich wusste, dass dich dein schlechtes Gewissen hierher treiben würde. Da dachte ich, wir machen zur Feier des Tages eine kleine Ausnahme. Außerdem habe ich deine dilettantische Tatortarbeit etwas ausgeglichen, was diesen edlen Tropfen wert sein dürfte.«
Bremer griff hinter sich und reichte Manzetti einen Schnellhefter mit seinen handschriftlichen Notizen vom Tatort. Dann zitierte er aus dem Gedächtnis. »Nepomuk Böttger wurde zwischen zwei und sechs Uhr in der letzten Nacht getötet. Das Herz hat man ihm post mortem und nicht sehr professionell herausgerissen. Gestorben ist er aber nicht durch rohe Gewalt, sondern durch Exsikkose.«
»Was ist das?«
»Austrocknung. Man hat den Jungen getrocknet wie Stockfisch. Dazu war er kurz vor seinem Tod an Händen und Füßen gefesselt. Den Rest gibt es wie eh und je nach der Obduktion.«
»Skål«, sagte Manzetti, nahm die Mappe und verließ Bremers Institut in Richtung Polizeidirektion.
15
Henry Wegmann ging die Treppen
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