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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Mühe fielen außer ein paar vergessenen Lesezeichen keine nennenswerten Dinge zu Boden. Wie denn auch? Die Botschaft steckte nämlich nicht in den Büchern, vielmehr waren die Bücher selbst die Botschaft.
    Ja, Kurt war tatsächlich ein Geniestreich gelungen.
    Das System funktionierte eigentlich ganz einfach. Stand das große gelbe Taschenwörterbuch »Englisch« in der Mitte des Regals, und nicht rechts unten, wo der Platz der anderen Nachschlagewerke war, dann enthielt das Regal eine geheime Botschaft. Die konnte man entschlüsseln, wenn man sich, oben links beginnend, die Bücher anschaute: Man nahm jeweils den ersten Buchstaben des Titels …
    Michaelis stand mit offenem Mund vor dem Regal. Seine Augen wanderten nach rechts unten, wo sie ein Fremdwörterbuch, eine Enzyklopädie-Medizin, einen Duden und die Grundlagen der Schreibkunst fanden. Die Ecke der Nachschlagewerke. Wie damals. Als er hart schluckte, kehrten seine Augen in die Mitte zurück, dahin wo zwischen Ustinov und Maxian mit aller nur möglichen Auffälligkeit das gelbe Taschenwörterbuch »Englisch« stand. Er starrte auf den Langenscheidt, als würde der gleich explodieren.
    Na klar. Kurt musste geahnt haben, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete, und hatte in Wirklichkeit gar nicht um einen Besuch gebeten, sondern hatte ihm, dem eingeweihten Zimmergenossen aus alten Internatszeiten, für den Fall der Fälle eine Botschaft hinterlassen. Und die, davon war Michaelis felsenfest überzeugt, würde er jetzt links oben finden.
    Er schloss noch einmal die Augen und atmete tief durch. Dann ließ er seine Augen über die Buchrücken nach oben gleiten. Als er fast am Ziel war, glaubte er hinter sich ein leises Füßescharren zu hören, dem ein metallisches Klicken folgte. Und in dem Moment, als er versuchte sich umzudrehen, erklang eine tiefe, rauchige Männerstimme: »Hände hoch und Gesicht zur Wand!«

16
    »Drehen Sie sich auch nicht um!« Die Anweisungen waren knapp und schneidig formuliert. Und allein die markige Stimme sorgte dafür, dass Michaelis sie sofort befolgte.
    »Gut so. Und nun stützen Sie die Hände gegen das Regal und schieben Ihre Füße so weit nach hinten, bis ich stopp sage.«
    Michaelis gehorchte erneut und spürte plötzlich einen ziehenden Schmerz am Vorderbauch, genau da, wo der Gürtel der Hose entlanglief.
    »Au«, entfuhr es ihm, und er hoffte, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.
    »Stopp! So bleiben!«
    Jetzt kamen die Schritte näher, und als ihm bereits der Schweiß ausbrach, weil er nicht über die Bauchmuskeln verfügte, die für seine momentane Haltung dringend erforderlich waren, tastete eine Hand seinen Körper ab.
    »Sie können sich jetzt aufrichten und sich langsam umdrehen.«
    Michaelis zog sich mühevoll an dem Regal hoch, riss es fast um dabei und hielt sich dann seinen von stechenden Schmerzen heimgesuchten Bauch.
    »Drehen Sie sich um!«, kam der Befehl erneut und etwas lauter als zuvor.
    Michaelis ließ die Hände vom Bauch nach unten gleiten und wandte sich dem Angreifer zu. Unter der Deckenlampe stand ein Mann in einer Art Uniform, kein Polizist, aber trotzdem wohl im Dienst des Landes Brandenburg. Das jedenfalls nahm Michaelis an, da der Mann einen roten Adler, das Wappentier des Landes, auf dem linken Ärmel seines groben Hemdes trug. Viel imposanter aber war das Gewehr des Mannes, dessen Mündung genau auf Michaelis’ derzeit schmerzende Stelle zeigte.
    »Setzen Sie sich auf den Stuhl da!« Mit einem ausladenden Schwenk zeigte das Gewehr den Weg.
    Michaelis sah auf den roten Adler und fasste Mut. »Was wollen Sie von mir?«
    Der Mann hielt das Gewehr nun höher, zielte auf Michaelis’ Kopf. »Die Fragen stelle ich! Was haben Sie hier verloren?«
    »Ich?« Er setzte sich auf den Stuhl, was sein Unterbauch sofort mit Schmerzfreiheit quittierte.
    »Ja, wer denn sonst?«
    »Ich bin ein Freund des Besitzers und habe den Schlüssel für das Blockhaus von seiner Tochter bekommen … Hier …« Er machte Anstalten in die Hosentasche zu greifen.
    »Na, na, na«, der Mann spannte den zweiten Hahn an seinem Gewehr. »Ganz langsam.«
    Michaelis bewegte sich also ganz langsam und angelte den Schlüssel heraus, den er neben sich auf den Tisch legte. »Bitte. Sehen Sie doch, das ist der Schlüssel zu Kurts Blockhaus.«
    »Und von wem haben Sie den?«
    »Von seiner Tochter. Von Nina.«
    Der Mann nahm das Gewehr herunter, ließ aber die beiden Hähne gespannt. Dann setzte er sich auf einen anderen

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