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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Taxi bei seinem ersten Besuch abgesetzt hatte.
    Er wollte lieber zu Fuß zum Blockhaus gehen, bevor er noch irgendwo hängen blieb oder gar aufsetzte. Schließlich war es Lottes Auto, und die verstand wenig Spaß, wenn es um ihren alten Käfer ging. Mit dem Kätzchen auf dem Arm stapfte er wieder durch das braune Kastanienlaub, das jetzt, bei dem spärlichen Mondschein dunkelgrau war.
    Dann schloss er auf. Nina hatte gesagt, der Hauptschalter sei gleich neben dem Eingang, etwa auf Hüfthöhe. Schnell spürte er den auf und legte ihn um.
    Eine Weile stand er steif im Eingangsbereich und fragte sich plötzlich, wonach er suchen solle. Hatte er überhaupt ein Recht dazu?
    Mit dem Zeigefinger betätigte er den Lichtschalter. Vor ihm flackerte die Deckenleuchte auf und tauchte den Raum in ein warmes Licht. Er legte das Kätzchen, das offenbar zu müde und zu satt war, um Anteil an der neuen Umgebung zu nehmen, samt Decke auf den Sessel und strich noch einmal mit der flachen Hand über das schwarze Fell. Es war ganz weich, aber darunter schienen nur spitze Knochen gegen die dünne Haut zu drücken.
    Das, was er suchte, stand rechts von ihm. Das Bücherregal. Es war ihm schon aufgefallen, als er Kurt und Eva gefunden hatte, und auf Nina warten musste. Es war voll, aber nicht sonderlich sortiert. Nichts hielt sich an irgendein System, nichts stand da, wo man es bei dem pedantischen Kurt hätte erwarten können. Die Bücher folgten in ihrer Reihenfolge nicht den Anfangsbuchstaben der Autoren, auch waren sie nicht thematisch geordnet. Direkt vor seinen Augen stand Peter Ustinovs »Der Verlierer« neben Langenscheidts Taschenwörterbuch »Englisch« und Beate Maxians »Tod mit Seeblick«. Es war das reinste Chaos und für einen Bücherfreund so etwas wie der Faustschlag ins Gesicht.
    Während Michaelis so dastand, dachte er angestrengt noch einmal über Kurt nach. Er hatte angerufen und um einen Besuch gebeten. Was hatte er gewollt? Sicher nicht über alte Zeiten plaudern. Wenn es eines gab, was Kurt Becher auf den drei Klassentreffen, die sie seit ihrem Schulbesuch veranstaltet hatten, überhaupt nicht gemocht hatte, dann waren es Plaudereien über die guten alten Zeiten. Kurt hatte die Internatszeit alles andere als positiv in Erinnerung behalten. Für ihn waren die Jahre in Ziesar der blanke Horror gewesen, die ultimative Vorbereitung auf ein Internierungslager irgendwo am Ende der Welt.
    Die ständigen Kontrollen durch die Erzieher, der stete paramilitärische Drill, das Rauben der freien Gedanken, die Blockade jeder Kreativität, all das hatte bei Kurt tiefe Narben hinterlassen. Warum hätte Kurt also plötzlich mit ihm darüber reden wollen?
    Kurts Hass auf die alte Schule hatte sehr tief gesessen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er hin und wieder in einer Art Karzer sitzen musste, so jedenfalls bezeichnete Kurt das Internatszimmer, wenn gegen ihn mal wieder ein Ausgangsverbot verhängt worden war. Das passierte nicht selten und hatte an dem Tag begonnen, als einer der Erzieher eine geheime Botschaft von Kurt gefunden hatte, die den sichersten Weg zum Mädchentrakt enthielt. Kurt hatte sich große Mühe bei seinem Versteck gegeben, aber er hatte dabei das Alter der Burg nicht bedacht. Hier war längst jedes Versteck bekannt. Nur Neulinge konnten glauben, dass sie etwas entdecken würden, das vor ihnen noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. Und so mussten die Erzieher nur Versteck für Versteck absuchen, bis sie endlich fündig wurden.
    Aber das hatte Kurt nicht zur Räson gebracht. Ganz im Gegenteil. Es hatte ihn herausgefordert, und eines Tages offenbarte er seinen drei Zimmergenossen so etwas wie einen Geniestreich.
    Ein Bücherregal.
    Es müsse übervoll sein und kunterbunt bestückt. Fragt eure Eltern und die Lehrer, hatte Kurt gefordert. Wir betreiben so etwas wie eine Schülerbibliothek, was uns viel Lob einbringen wird, und niemand schöpft Verdacht.
    Und tatsächlich. Schnell hatten sie etwa siebenhundert Bücher zusammen, betrieben ihre Bibliothek, was ihnen sogar die Anerkennung des Direktors einbrachte, und hatten damit das perfekte Versteck.
    Und perfekt kam dem wahren Wert seiner Erfindung nicht einmal ansatzweise nahe. Während sie in der Schule waren, fiel Emil Lehmann in das Zimmer ein, ein Erzieher, dessen pädagogisches Tun von der Vorstellung getrieben war, jeder Zögling sei ein potenzieller Verbrecher. Lehmann nahm sich viel Zeit, um alle siebenhundert Bücher auszuschütteln. Aber trotz größter

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