Haveljagd (German Edition)
erneut auf. Sie wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen und schnaubte ihre Nase aus. »Er hat ja Recht. Es geht um Tim und nicht um mich.« Dann brachen neue Tränen aus.
»Er kann doch nicht sehr weit sein«, überlegte Manzetti. »Ohne Rollstuhl kann er doch höchstens kriechen.«
»Er kann nicht einmal das, und wir haben mit den beiden Polizisten die ganze Umgebung abgesucht«, erklärte Höppner, der hinter Manzetti aufgetaucht war. »Nichts, nicht mal eine Spur. Es muss ihn also jemand mitgenommen haben. Aber …«
Manzetti hörte schon nicht mehr zu. Er versuchte das Schicksal von Tim mit dem von Werner und der Nachricht von Bremer zu verknüpfen.
»Frau Becher.« Sie sah zu ihm hoch. »Können wir bitte unter vier Augen miteinander reden?«
Nina Becher starrte ihn an. Ihre Augen, ihre Nase, selbst ihr Hals, alles war puterrot. Aber sie schnäuzte sich erneut und stand dann auf. »Ja. Kommen Sie.«
Mehr sagte sie an dieser Stelle nicht, aber Manzetti spürte, dass sie in wenigen Minuten ihr Herz ausschütten würde. Allein in der Küche des Wohnhauses brauchte er dann wirklich nicht eine Frage zu stellen.
»Es ist an der Zeit, Ihnen einiges zu erklären.« Sie setzte sich an den Tisch und sah aus dem Fenster. Dann hob sie ihren Blick und sah ihn an. »Ich bin nicht die Mutter von Tim.«
Normalerweise hätte diese Erkenntnis wie eine Bombe einschlagen müssen. Aber Manzetti wäre nicht Manzetti, wenn er nicht seine Hausaufgaben gemacht hätte. »Ich weiß«, sagte er und setzte sich neben sie.
»Aber … wie können Sie das wissen?«, fragte sie verwundert.
»Ich habe mich bei dem Verbindungsbeamten des BKA für Sri Lanka nach Ihnen erkundigt. Sie sind nicht nach Deutschland zurückgekommen, weil Tim geboren wurde.«
Sie sagte nichts. Aber das war auch nicht nötig. Manzetti war noch nicht fertig.
»Man hat Sie ausgewiesen, weil Sie sich einer Straftat schuldig gemacht haben, für die man in Deutschland Gott sei Dank nicht angeklagt wird.«
»Ja«, sagte sie, ohne eine Spur von Schuldbewusstsein. »Und auch in Sri Lanka wird man das eigentlich nicht mehr, aber ich bin wohl einigen Militärs zu nahe gekommen, und da haben sie ein Exempel statuiert.«
»Und wie ist Ihre Beziehung zu dem Förster? Ich denke, er ist mit Ihnen liiert?«
»Christian ist ein entfernter Verwandter meiner Mutter und er hat sich bereit erklärt, uns bei der Legende zu helfen, als wir ihn eingeweiht hatten. So hat sich niemand gefragt, warum ich allein lebe, und ist auf die Idee gekommen, ich könnte eine Lesbe sein.«
»Und Ihre Freundin in Sri Lanka?«
»Sie lebt mittlerweile in Deutschland. In Berlin. Dort treffen wir uns heimlich. Man hatte auch sie ausgewiesen, weil Homosexualität sich mit den wenigsten Religionen dieser Welt verträgt.« Dann sah sie Manzetti herausfordernd an. »Aber woher wissen Sie, dass Tim nicht mein Sohn ist?«
»Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Sie ein Kind haben.«
»Aber es hätte doch sein können. Ich wäre nicht die einzige Lesbe, die ein leibliches Kind hat.«
»Stimmt«, sagte er. »Dann wäre die Spur versiegt. Das aber gehört zum Geschäft, jedenfalls zu meinem. Die meisten unserer Spuren verlaufen nämlich im sprichwörtlichen Sande.«
»Und wie haben Sie das nun gemacht? Ich meine, Sie müssen doch Beweise haben.«
»Werner hat von seinem letzten Besuch bei Ihnen Haare mitgebracht. Von Ihnen und von Tim. Und eben habe ich das Ergebnis der DNA-Untersuchung erhalten.«
»Und warum hat er Haare mitgenommen?«
»Weil wir von Malte Richter erfahren haben, dass es möglicherweise um ein Testament geht. Das und meine Erkenntnis über Ihr Leben in Sri Lanka haben einen Verdacht geweckt, der sich ja nun bestätigt hat.«
Sie sah aus dem Fenster und schwieg eine ganze Weile. Dann sagte sie resigniert: »Ich hätte es Ihnen schon viel früher sagen müssen. Vielleicht wäre Tim dann nicht entführt worden.«
»Das können wir jetzt aber nicht mehr ändern. Lassen Sie uns wenigstens das Schlimmste verhindern.«
»Gut«, sagte sie. »Fragen Sie. Ich werde auf alles antworten.«
20
Es war heiß, es war stickig und vor allen Dingen war es stockdunkel. Nur durch den winzigen Spalt weit über ihm drang spärliches Licht. Aber das war ihm im Moment ziemlich egal. Er spürte nur die anhaltend dumpfen Schmerzen, die einen Vorgeschmack auf die Hölle boten und die nur verschwanden, wenn sie von im Takt seines Pulses pochenden Stichen überlagert wurden. Es war zum
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