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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Verrücktwerden und der Wunsch, sein Herz möge nicht mehr als zwei, höchstens drei Mal in der Stunde schlagen, ließ ihn ahnen, wie dicht er dem Wahnsinn schon gekommen war.
    Er machte das linke Auge wieder zu und begab sich erneut in die Haltung, in der er monatelang im Leib seiner Mutter verweilt hatte. Allein diese Stellung erlaubte ihm flache Atemzüge. In jeder anderen Position meldeten sich sofort seine Rippen, von denen mindestens zwei gebrochen sein mussten.
    Er hörte Schritte. Harte, grobe Gummisohlen auf Metall. Gleich würde es wieder passieren. Gleich würde die Tür aufgerissen und die schweren Stiefel würden tief in seine Weichteile treten. Das konnte mittlerweile allerdings überall sein, denn jeder Zentimeter seines Körpers war weich, alles irgendwie zertrümmert, windelweich geschlagen eben.
    »Schreiberling, geht’s dir gut?«
    Michaelis drückte die Augen, auch das rechte, noch fester zusammen, auch wenn es höllisch wehtat, aber mehr konnte er den nun folgenden Schlägen nicht entgegensetzen. Nicht einmal Schreie hatte er mehr.
    »He, Schreiberling, was ist? Hast du die Sprache verloren?«
    Kutzners Stiefel waren nur Zentimeter von seiner Nase entfernt. Er konnte sie riechen, die Schuhwichse und die groben Gummisohlen.
    »Brauchst keine Angst haben. Ich tu dir nichts. Obwohl es schade ist, aber ich habe Order von oben.«
    Konnte er dieser Ankündigung trauen? In den letzten Stunden hatte ihn Kutzner bei seinen Besuchen in diesem Loch nicht ein einziges Mal verschont, warum sollte er es gerade jetzt tun? Als aber auch in den nächsten Sekunden die Stiefel da blieben, wo sie waren, entspannte sich sein Augenlid etwas. Es war ein Wagnis, aber es tat gut, denn augenblicklich ließ auch der Schmerz am Jochbein nach. Kutzner hatte es bei seinem zweiten Auftritt kurzerhand mit einem Baseballschläger zertrümmert.
    »Hier«, sagte der Schläger und kippte einen Eimer eiskaltes Wasser über ihn aus.
    »Ha, ha, ha. Schreiberling, schämst du dich denn gar nicht? Guck mal, wie du aussiehst! Wie ein Frosch. Du hast Glupschaugen wie eine Kröte.«
    Kutzner tippte mit seinem Baseballschläger auf Michaelis’ Schuhe.
    »Und damit das Kunstwerk perfekt ist, forme ich dir morgen mit meinem Knüppelchen richtige Froschfüße.« Dann holte er aus und ließ das zweckentfremdete Sportgerät mit fauchendem Wummern durch die Luft zischen. »Morgen, Schreiberling. Vergiss das nicht! Morgen kriegst du Füße wie ein Frosch.«
    Warum nicht heute?, fragte sich Michaelis. Warum erst morgen? Und warum schlägst du mir nicht gleich den Schädel ein? Dann hätte diese Quälerei endlich ein Ende.
    In diesem Moment fiel die schwere Eisentür wieder zu und wurde von außen verriegelt. Er hörte die Schritte auf der Metallstiege, und irgendwo da oben knallte dann noch eine Tür.
    Unter großen Anstrengungen setzte sich Michaelis auf, mit dem Rücken gegen die Wand, aber äußerst bedacht darauf, eine aufrechte Embryonalstellung einzunehmen.
    Seine linke Hand schob sich ganz behutsam nach oben, ertastete das glühende Kinn und dann die harte Kruste, die um sein rechtes Auge lag. Kutzner hatte Recht, es musste wirklich wie bei einem Frosch aussehen, denn das Auge ragte bis auf Höhe der Nasenspitze vor. Es war auch das, was er nicht zukneifen musste, wenn Kutzner auf ihn einschlug, denn im Gegensatz zum linken, ließ es sich sowieso nicht öffnen. Mit ein paar gezielten Schlägen hatte Kutzner aus dem abblühenden Veilchen quasi einen neuen Strauß geformt.
    Dann tastete sich seine Hand wieder nach unten und weiter nach links, über den warmen und stinkenden Metallboden, bis sie gegen eine Blechbüchse stieß. Wenn Kutzner kein allzu großes Schwein war, hoffte er, hatte der die Büchse nicht umgestoßen. Sein Zeigefinger glitt über ihren scharfen Rand und klemmte sie zwischen den anderen Fingern fest. Langsam führte er sie zum Mund und trank gierig die letzten Schlucke abgestandenen Wassers. Wegen der geschwollenen Lippen lief das Meiste daneben.
    Wieder erklangen Schritte. Erst von weit oben, dann über die Stiege und bis zu seiner Tür. Aber dieses Mal war da noch mehr gewesen. Ein Klacken. Keine Pfennigabsätze, aber unverkennbar die Geräusche weiblichen Schuhwerks auf blankem Metall. Wollte Kutzner ihm vielleicht etwas Gutes tun, bevor er ihm endgültig den Garaus machte? Aber daran würden weder die Dame, noch Kutzner als Zuschauer Freude haben.
    Die Tür flog auf und das helle Licht blendete ihn, weil er es nicht

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