Havelsymphonie (German Edition)
an einem Tresen und fixierte das Pappschild, auf dem gebeten wurde, seine Krankenkassenkarte und 10 € für die Praxisgebühr bereitzuhalten, sofern man diese noch nicht bezahlt habe.
„Guten Tag“, grüßte er die Sprechstundenhilfe ungeniert, obwohl sie noch gar nicht zu ihm aufgesehen hatte. „Mein Name ist Manzetti und ich möchte zu Frau Manter.“
„Haben Sie einen Termin?“ Sie sah ihn verkniffen an, während sie ohne weiteren Kommentar ihre geöffnete Hand vor ihm auf den Tresen legte. Ihre Stimme klang genervt. Den schlechten Eindruck konnte auch ihre angenehme Altstimme nicht wiedergutmachen.
„Nein“, antwortete Manzetti kurz, knapp und verärgert, aber durchaus wahrheitsgemäß.
„Waren Sie schon mal hier? Wenn nicht, muss ich Ihnen gleich sagen, dass Frau Doktor keine neuen Patienten mehr annimmt. Und wenn doch, dann sollten Sie doch eigentlich wissen, dass unsere Termine schon jetzt bis in den März reichen.“
Manzetti lachte kurz auf, denn er fühlte sich Gott sei Dank vollkommen gesund, und kommentierte völlig unsentimental: „Das kann schon sein. Ich möchte trotzdem zu Frau Manter, und bis März kann ich nicht warten. Ich habe es nämlich eilig.“
„Das haben hier alle. Geben Sie mir Ihre Karte, dann sehen wir weiter.“
„Hören Sie, gute Frau“, sagte Manzetti leise, aber deutlich angespannt. „Ich möchte zu Frau Manter, jetzt gleich und ohne Karte. Wenn das nicht geht, habe ich selbstredend Verständnis dafür, aber dann bestelle ich Frau Manter zu mir.“
„Frau Doktor macht keine Hausbesuche.“
Manzetti griff jetzt in eine Innentasche des Sakkos und holte den Dienstausweis heraus, den er in ihre zappelnde Hand legte.
Plötzlich schien „Frau Neuhaus“, den Namen las Manzetti von der üppigen Brust der Dame ab, aus ganz anderem Holz geschnitzt zu sein. „Kommen Sie dienstlich, Herr Kommissar?“, wollte sie, nun äußerst höflich, wissen.
Manzetti nickte. Zu mehr war er angesichts der zu seinen Gunsten geänderten Hackordnung nicht bereit.
„Setzen Sie sich bitte noch einen kleinen Moment. Ich sage Frau Doktor nur kurz Bescheid“, säuselte „Frau Neuhaus“ und schwebte von dannen.
Manzetti setzte sich in das Wartezimmer, direkt neben eine Frau, die trotz wohliger Temperaturen in dem Raum noch immer ihren Hut und einen Schal trug.
„Sind Sie der Polizist aus der Zeitung?“ Sie hatte wohl den letzten Artikel über den aktuellen Fall in der MAZ gelesen, in dem Manzetti mit Bild abgelichtet war.
„Der bin ich, und ich heiße Andrea Manzetti.“
Als die Dame den Namen hörte, einen, der nicht unbedingt so klang wie Müller oder Lehmann, drückte sie ihre Handtasche mit der Geldbörse dichter gegen ihre Brust und sah zur gegenüberliegenden Wand.
Nach weiteren zehn Minuten wurde er dann endlich in das Behandlungszimmer der Ärztin vorgelassen.
„Ich nehme an, dass Sie wegen der Sache vor dem Theater kommen?“ Frau Manter eröffnete das Gespräch im Stehen und bot Manzetti mit hochgehaltener Glaskanne einen Tee an. „Mehr als das, was ich Ihrer Kollegin bereits nach dem Fund der Leiche erzählt habe, kann ich auch heute nicht beisteuern.“
Ihr stand noch deutlich die Peinlichkeit ins Gesicht geschrieben, sich mit ihrem Ehemann auf offener Straße gestritten zu haben. Manzetti aber war das egal, deshalb war er schließlich nicht gekommen. Er befand sich auf einer ganz anderen Mission, von der er zutiefst überzeugt war, auch wenn Claasen die Meinung vertrat, dass man auch anders an die Aussage kommen könnte und dass Manzettis Vorhaben jedem gesunden Menschenverstand spottete. Aber was war heutzutage schon gesund? „Ich komme nicht wegen Ihrer Aussage, sondern, weil ich Sie um Ihre Hilfe bitten möchte.“
„Wie sollte gerade ich Ihnen helfen können?“ Sie setzte sich interessiert Manzetti genau gegenüber.
„FC“, sagte er. „Ich habe in einer medizinischen Fachzeitschrift einen Beitrag darüber gelesen. Der stammt sogar von Ihnen, wenn ich mich nicht täusche.“
„Wo haben Sie denn den ausgegraben? Der ist doch uralt.“
„Schon. Aber deswegen nicht weniger beeindruckend. Ein Arzt hat ihn mir gegeben, als wir über einen möglichen Zeugen sprachen.“ Und nun fiel Manzetti wieder ein, dass er äußerst beeindruckt gewesen war, als Bremer einen mehrere Jahre alten Beitrag ohne langes Suchen sofort gefunden hatte. Und das in seinem Chaosbüro.
„Wenn Sie deshalb kommen, gehe ich davon aus, dass Ihr Zeuge Autist ist.“
„Ja“,
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