Havelsymphonie (German Edition)
ihrem augenblicklichen Erkenntnisstand mit den zwei Morden zu tun haben könnten.
„Wie hieß eigentlich die Tote in Hamburg?“, wollte Hendel wissen, als Manzetti schwieg um zu grübeln.
„Walter. Birgit Walter.“
„Und diese Birgit Walter war auch Musikerin?“
Manzetti musste schmunzeln. „Schon. Sie gehörte aber in eine ganz andere Welt.“ Dabei breitete er die Arme aus.
„Die da wäre?“, fragte Hendel.
„Punk.“
„Ist auch Musik“, betonte der Intendant mit einem Blick, der Manzetti verriet, dass er das sogar ehrlich meinte.
„Wenn Sie das sagen“, entgegnete Manzetti, der in dieser Hinsicht nicht ganz so tolerant war, was auch seine Tochter Lara von ihm behauptet hätte.
„Was gibt denn der Name Birgit Walter und Punk her?“, fragte plötzlich Sonja und schob Hendel gekonnt samt Stuhl zur Seite. Dann tippte sie blitzschnell auf die Tasten. „Sieh an!“ Sie zog ihre Brauen hoch. „Was haben wir denn da?“
Manzetti und Hendel versuchten, quer zu lesen, während Sonja die Zeilen nach oben wegrollen ließ.
Birgit Walter war eine späte Punkerin gewesen. Sie wurde, wie auch Carolin Reinhard, in ein ganz normales bürgerliches Elternhaus hineingeboren, lernte als kleines Mädchen brav, die Flöte zu spielen, stieg dann später um auf Klarinette, blieb aber entgegen Carolin Reinhard bei diesem Instrument. Sie studierte an einem soliden Konservatorium und hatte ihr erstes Engagement in Hamburg. Dorthin zog sie im Alter von zweiundzwanzig Jahren aus Dortmund, wo ihre Eltern wohnten, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes und ein Feuerwehrmann. In Hamburg hatte sie dann nicht nur die Hafenstraße kennen gelernt, sondern auch deren Bewohner, und schließlich verliebte sie sich in ein solches Exemplar, was wohl auch ihr Aussehen erklären dürfte. Sie stieg folgerichtig aus dem Orchester aus und tauchte ganz in das Hafenstraßenmilieu ein, auch musikalisch.
„Woher stammt dieser Artikel?“ Manzetti zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm.
„Drei Wochen nach dem Mord im Hamburger Abendblatt erschienen“, las Hendel vom Bildschirm ab.
„Die haben gründlich recherchiert.“
„Was erwarten Sie bei einem Mord und bei Reportern, die nicht darauf warten, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Das ist doch für die Presse ein gefundenes Fressen, oder?“
Das musste auch Manzetti zugeben. Er überflog die Zeilen noch einmal. „Sie sagten gerade, der Artikel sei drei Wochen nach dem Mord erschienen“, bemerkte Manzetti fast beiläufig. „Woher wissen Sie denn, wann Birgit Walter umgebracht wurde?“
Hendel antwortete nicht. Er zog die Maus aus der Hand von Sonja und markierte mit dem Cursor eine Stelle unterhalb der großen Überschrift.
„Muss ich wohl übersehen haben“, gab Manzetti zu und tätschelte entschuldigend die Schulter des Intendanten. „Ich wollte Sie nicht wirklich verdächtigen. War nur so ein Reflex.“
„Schon in Ordnung.“ Hendel schien fast ein bisschen geschmeichelt. „Ich wäre aber auch enttäuscht gewesen, wenn Sie mich nicht irgendwann zu den Verdächtigen gerechnet hätten.“
„Was kann das bedeuten?“, fragte Manzetti wieder ganz beim Thema. „Zwei Orchestermusikerinnen. Beide an ihrem dreißigsten Geburtstag und beide mit Bezügen zu La Bohème. Wäre das hier ein Spiel, würde ich an dieser Stelle meinen letzten Joker ziehen und wahrscheinlich anschließend mit dem bisherigen Gewinn nach Hause gehen. Oder entdecken Sie den Faden, der uns aus dem Labyrinth führt?“
Hendel zuckte mit den Achseln. „Nein. Aber vielleicht hat es nur am Rande mit La Bohème zu tun, oder vielleicht auch gar nicht. Wenn Sie sich erinnern, ist La Bohème keine Oper, in der es um Mord und Totschlag geht. Da wäre Carmen viel geeigneter. Mimi aber kommt eher durch Zufall in diese Künstlerkreise, weil sie nämlich im selben Haus wohnt wie Rodolfo. Allerdings ist sie durch die spartanischen Verhältnisse gesundheitlich schwer angeschlagen und stirbt schließlich an Schwindsucht, weil ihr ausgemergelter Körper der Krankheit nichts mehr entgegensetzen kann. Und selbst für den Fall, dass wir mit unserer Theorie richtig liegen und es hier nicht um die Oper, sondern um den Roman von Murger geht, ändert sich eigentlich nicht viel. Mimi heißt dann Franziska und stirbt auch an Schwindsucht, nur eben an einem ersten November und nicht an Weihnachten.“
„Was vielleicht gar keine Bedeutung hat“, warf Sonja ein. „Denn Täter, die selbst nach fünfzehn
Weitere Kostenlose Bücher