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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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und nun der Herzinfarkt Ihres Mannes.“ Manzetti hob seine Tasse, tastete aber mit den Augen jeden Winkel ihres Gesichts ab.
    „Nicht dass bei Ihnen ein falscher Eindruck entsteht, aber beides trifft mich nicht so heftig, wie Sie glauben mögen.“
    Das war eine Antwort. In dieser Deutlichkeit hatte er sie nicht erwartet, sie brachte seinen gesamten Plan durcheinander. Deshalb schwiegen beide für einen Augenblick, bis er sich räusperte und ganz von vorne anfing. „Ihr Mann sagte mir, dass Sie beide getrennt leben. Deshalb trifft der Infarkt Sie sicher nicht mehr so sehr?“
    Frau Reinhard sah von der Tasse direkt in Manzettis Augen. „Das könnte so sein.“ Sie senkte die Stimme, als sie fortfuhr: „Ist es aber nicht … jedenfalls nicht ausschließlich.“
    „Was ist es dann?“
    Sie sah wieder auf die Tasse und zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß es selbst nicht.“
    „Und Ihre Tochter? Wie ist es mit ihr?“
    „Das weiß ich auch nicht.“ Sie strich mit dem rechten Daumen unentwegt über die glatte Oberfläche des Tassenhenkels. „Als ich Manfred kennen gelernt habe, war Carolin gerade ein halbes Jahr alt. Er suchte eigentlich nicht mich, er suchte eine Mutter für seine Tochter, denn er hatte überhaupt keine Zeit für sie. Wenn er mal nicht im Gericht war, musste er angeblich unbedingt auf den Golfplatz. Nicht wegen des Sports, hat er immer beteuert. Wegen der Kontakte.“
    „Dann war Carolin gar nicht Ihr gemeinsames Kind?“ Manzetti fragte, obwohl er die Antwort ja kannte. Er hatte sich leicht nach vorn gebeugt und stützte die Unterarme auf dem Tisch ab.
    „Carolins Mutter starb kurz nach der Geburt.“ Eva Reinhard tat ihm den Gefallen zu bestätigen, was Sonja bereits herausgefunden hatte.
    „Hat sie davon gewusst?“
    „Carolin?“
    Manzetti nickte und atmete so flach, dass selbst er nichts davon hörte.
    „Nein. Das haben wir ihr verschwiegen.“
    „Warum?“
    „Mein Mann wollte das so. Er meinte, dass es für ihre Entwicklung schädlich sei, wenn sie erführe, dass ihre Mutter früh nach der Geburt gestorben sei. Sie könnte Schuldgefühle entwickeln, weil sie glaubte, sie sei an ihrem Tod Schuld. Manfred hat allerdings immer behauptet, dass er es ihr schon noch irgendwann erzählen werde. Später eben.“ Mit traurigem Blick fügte sie hinzu: „Das haben wir wohl nun verpasst.“
    Manzetti wollte das nicht kommentieren und ließ eine kurze Zeit verstreichen. „Hatten sie ein gutes Mutter-Tochter-Verhältnis?“
    „Nein, auch wenn ich den Schein gewahrt habe, ich habe es nicht geschafft, ihr wirklich wie eine Mutter zu sein. Unsere Beziehung kann man wohl kaum als liebevoll bezeichnen“, sagte sie nüchtern.
    „Wie konnte das dreißig Jahre lang funktionieren?“
    „Manfred hat es ihr immer damit erklärt, dass Töchter sich eher zu den Vätern hingezogen fühlten und Söhne eben zu den Müttern. Carolin hat es irgendwann geglaubt und schließlich hatte sie ja ihn, der sie über alles liebte, sofern er da war.“
    Manzetti registrierte jedes Wort und musste unwillkürlich an Murgers La Bohème denken, wo der Liebende Öl benutzte, um der geliebten Toten nicht weh zu tun, als er ihr Gesicht mit Gips abformte. Er sprach den Gedanken aber nicht aus. „Ist Carolin Ihretwegen ausgezogen?“
    „Nein. Das hätte sie noch länger ertragen, denn zum Ausziehen war sie viel zu bequem. Sie hatte zu Hause doch alles, und ihr Vater hat sie mit Geld und Geschenken überschüttet, um sich von den Fehlern freizukaufen, die er ihr gegenüber gemacht hat. Sie brauchte nie das eigene Geld anzufassen, sie kannte die Funktionsweise einer Waschmaschine nicht, und sie kümmerte sich auch ansonsten um nichts. Das Hotel Papa mit seinen Haushaltshilfen bot ihr einen Rund-um-die-Uhr-Service.“
    „Und warum ist sie aus diesem Schlaraffenland dann doch geflüchtet?“
    „Das fing vor etwa einem Jahr an. Manfred hatte einen Brief erhalten, den er auffällig vor uns verbergen wollte, und fuhr eine Woche später nach Düsseldorf. Jedenfalls behauptete er das. Er wolle alte Richterkollegen am dortigen Amtsgericht treffen. Er hatte dort ja früher gelebt und gearbeitet, war erst in den siebziger Jahren beruflich nach Berlin gekommen.“
    Da Eva Reinhard eine kurze Pause einlegte, fragte Manzetti fordernd weiter. „Und das haben Sie nicht geglaubt?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Ich fand den Zugfahrschein und auch die Hotelrechnung in seinem Sakko. Er war in Dortmund.“
    „Sie könnten sich aber

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