Havelsymphonie (German Edition)
dabei gedacht?“
„Den Zivi. Der scheint sich mit ihm intensiv zu beschäftigen.“
„Meinen Sie?“, fragte Frau Manter. „Der Mann ist engagiert, aber er übertreibt, insbesondere, was seinen Zugang zu Mario betrifft. Wenn es nämlich so wäre, wie er es oft genug darstellt, dann hätte er auch jetzt Zugang zu Mario. Den hat er aber gerade nicht, oder?“
Da hatte sie natürlich absolut Recht, und Manzetti erschrak, weil er selbst diesen Schluss nicht gezogen hatte. Er hatte sich zu sehr auf diesen Strohhalm fixiert. Sie aber hatte scharf und logisch analysiert. Dabei ging ihm plötzlich eine Frage durch den Kopf. Konnte Frau Manter als Psychologin nicht nur den Zivi, sondern auch ihn und seine Gedanken durchschauen? Sofort nahm er seinen verräterischen Blick von ihren Beinen, die sie noch immer übereinandergeschlagen hatte und die nur bis zum halben Oberschenkel von dem schwarzen Rock bedeckt waren.
„Und Arno? In der Wohngemeinschaft, in der …“
Er brauchte nicht weiterzusprechen, sie schüttelte schon intensiv den Kopf.
„Letzter Versuch“, kündigte er an. „Der Zivi sagte mir, dass Mario sehr gerne klassische Musik hört und oft Gast bei den Proben der Brandenburger Symphoniker war. Dort soll es regelmäßig zu Zwiegesprächen, wenn ich das so sagen darf, zwischen ihm und dem Dirigenten gekommen sein, die von gegenseitigem Respekt getragen waren. Mario hat sein Orchester geliebt, sagt der Zivi. Vielleicht ist es denkbar, dass die Musik ihn öffnet und er sich dem Dirigenten auf eine Weise anvertraut, die der entschlüsseln kann?“
Frau Manter überlegte kurz und hielt dabei die Augen geschlossen. Manzetti indessen drückte die Daumen so stark auf die Zeigefinger, dass sie augenblicklich weiß wurden.
„Denkbar ist alles, auch wenn die Erfolgschancen gegen null tendieren“, sagte sie schließlich. „Aber einen Versuch ist es wert. Obwohl es verrückt ist.“
Manzetti entkrampfte sich und legte sein dankbarstes Lächeln auf. „Ich könnte es nicht treffender ausdrücken.“
12
Sonja parkte ihren Mini in der Jahnstraße und wollte gerade aussteigen, als sie einen Mann erblickte, der mit Händen in den Manteltaschen an der Ecke zur Zieglerstraße stand. Er drehte ihr den Rücken zu und konzentrierte sich offenbar voll und ganz auf die gegenüberliegende Straßenseite, genauer gesagt, auf den Eingang des Von-Saldern-Gymnasiums.
Ein Spanner oder ein Perverser hätte sich nicht anders verhalten, aber da Sonja ihn erkannte, tat er ihr leid, wie er dastand und von seiner Liebe zerfressen wurde. Aber es half nichts, auch wenn an dieser Liebe niemand Zweifel hatte. Er sollte lernen zu vertrauen und loszulassen, und er sollte sein italienisches Ego endlich unter Kontrolle bringen.
Plötzlich drehte sich Manzetti um und lief einige Meter genau in Sonjas Richtung, sodass sie sich blitzschnell hinter dem Lenkrad verstecken musste, aber aufatmen konnte, als ihr Chef kurz vor ihrem Auto in die kleine Pizzabäckerei verschwand. Dann bog Lara mit zwei Freundinnen um die Ecke, in eine intensive Unterhaltung vertieft.
Um zu verhindern, dass Lara auch in die Pizzeria ging, stieg Sonja schnell aus und rief ihr lauthals entgegen: „Lara, beeil dich bitte, ich habe heute nicht viel Zeit.“ Dazu winkte sie wild mit beiden Armen.
Manzetti, der die Situation aus nächster Nähe beobachtete, sah seine Tochter in den Mini steigen und das Auto in die Zieglerstraße verschwinden. Als er sich fragte, wie lange Sonja wohl schon dort gestanden hatte, war er ihr plötzlich sehr dankbar.
*
„Wie geht es Ihrem Mann?“
„Den Umständen entsprechend, sagen die Ärzte.“ Frau Reinhard hatte Manzetti zwar den Kopf zugewandt, musste aber die Augen fast geschlossen halten, weil sie vom grellen Licht der Neonbeleuchtung auf dem Flur des Ernst von Bergmann-Klinikums sehr geblendet wurde. „Ich wollte gerade für einen Moment in die Cafeteria. Möchten Sie mich vielleicht begleiten?“
Manzetti nickte und ging stumm neben der kleinen Frau her, der momentan nichts von ihrem Leid anzumerken war, ja die sogar fast ein wenig erleichtert wirkte. Das traute sich Manzetti aber nicht weiterzudenken, geschweige denn zu erfragen. Stattdessen beschränkte er sich auf ein freundliches „Und wie geht es Ihnen?“, als beide vor einem mittelmäßigen Cappuccino saßen.
„Mir? … Es geht so“, antwortete sie, begleitet von einem hörbaren Seufzer.
„Sie haben im Augenblick viel zu ertragen. Erst der Tod Ihrer Tochter
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