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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Jahren so detailgetreu töten, halten sich an jeden kleinen Punkt. Wäre also der erste November Bestandteil seiner Inszenierung gewesen, dann hätte er auch Birgit Walter an diesem Datum umgebracht. Es geht ihm wahrscheinlich aber nicht um ein bestimmtes Datum, sondern um ein bestimmtes Ereignis, nämlich den dreißigsten Geburtstag.“
    Manzetti ging ein paar Schritte bis zum Tisch. Dann drehte er sich abrupt um. „Warum nicht Puccinis Variante, sondern die von Murger?“ Er vergrub die Hände tief in den Hosentaschen. „Was war Murger für ein Mann und warum sollte er für unseren Täter interessanter sein als Puccini?“
    Auch Hendel bewegte sich jetzt vom Computer weg zu seinem Bücherregal. Dort zog er ein kleines Büchlein heraus, auf dessen Umschlag La Bohème – Libretto stand. Er blätterte die ersten Seiten um und überflog dann einige Zeilen. „Hier“, sagte er plötzlich. „Henri Murger war selbst ein solcher Idealist, wie es seine Romanhelden waren“, las er laut vor. „Murger kam aus kleinen Verhältnissen und verfügte deshalb nur über eine geringe Schulbildung. Er strebte aber danach, auf Grund seiner literarischen Fähigkeiten in den sogenannten Schriftstellerhimmel aufgenommen zu werden.“
    „Was ihm ja letztlich auch gelang“, unterbrach Manzetti.
    „Richtig“, kommentierte Hendel und klappte das Büchlein zu. „Deshalb ist seine Hauptfigur Rodolfo ja auch ein Dichter. Man könnte also annehmen, dass wir es mit einer uralten Zielstellung zu tun haben.“
    „Die da wäre?“, fragte Manzetti.
    „Der Olymp. Jeder Künstler will in den Olymp. Vielleicht auch Ihr Mörder?“
    „Und warum wartet er dann fünfzehn Jahre?“ Manzetti hatte noch nicht ganz zu Ende geredet, als ihn ein böser Gedanke heimsuchte.
    Der Intendant setzte sich an den großen Tisch und legte den Kopf in die Hände. „Auf diese Frage habe ich nun auch keine Antwort mehr.“
    Sonja schob ihren Stuhl etwas zurück und stand auf. „Mein Chef fragt sich eigentlich: Was, wenn der Täter gar nicht fünfzehn Jahre gewartet hat?“
    „Malen Sie nicht den Teufel an die Wand!“
    „Das habe ich nicht vor“, räumte Manzetti ein. „Aber solange wir nichts Genaues wissen, gehen wir davon aus, dass es nur zwei gleich gelagerte Verbrechen gibt. Wir werden sie aufklären. Und Sie können mich vielleicht bei einer anderen Sache unterstützen.“
    „Und die wäre?“
    „Mario Schmidt, der autistische Zeitungsbote.“ Bittend sah er zu Hendel.
    „Wie kann ich Ihnen da helfen?“, fragte der Intendant, der schon wieder die Keksdose mit beiden Händen festhielt.
    „Ich erkläre es Ihnen.“ Manzetti machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Mario ist womöglich unser einziger Zeuge. Seit dem Morgen, als er die Leiche gesehen hat, ist er sehr verstört.“
    „Hat er die Leiche wirklich gesehen?“, wollte Hendel an dieser Stelle wissen und kippelte mit seinem Stuhl gegen die Wand.
    „Davon gehe ich aus, denn das würde erklären, wie die Schlüssel unter den Tisch kamen, auf dem Carolin Reinhard aufgebahrt lag.“
    „Und was soll ich nun tun?“ Hendel bugsierte den Stuhl wieder in die Waagerechte.
    „Mario spricht nicht, jedenfalls nicht mit uns. Und er kommuniziert zurzeit auch nicht mit anderen Menschen. Ich bin aber der Meinung, dass man ihn öffnen könnte.“
    „Und wie wollen Sie das anstellen?“
    Manzetti setzte sich wieder neben Hendel. „FC.“ Dann erklärte er mit wenigen Worten, was sich hinter der Abkürzung verbarg.
    „Ich kann noch immer nicht meinen Part erkennen“, sagte Hendel resigniert, der inzwischen darauf brannte, helfen zu dürfen.
    „Mario liebt klassische Musik und ganz besonders Ihr Orchester.“
    „Und da sollen wir so etwas wie der Katalysator sein?“, fragte Hendel mit einem Gesicht, das kurz vor einem Heureka stand.
    „Richtig.“ Manzetti freute sich, dass der Intendant so schnell begriffen hatte. „Wir bringen Mario mit einem Spezialisten hierher und versuchen, ihm während einer Probe zu Beethovens 5. Symphonie seine Informationen zu entlocken.“
    „Warum ausgerechnet die Fünfte?“, wollte Sonja wissen.
    „Da war er schon einmal zur Probe hier. Vielleicht schafft das eine vertraute Atmosphäre.“
    „Und das funktioniert?“, fragte Hendel nur noch ein bisschen skeptisch.
    „Das weiß ich nicht genau. Aber wir müssen alles versuchen, denn niemand kann vorhersagen, wie viel Zeit uns der Mörder bis zum nächsten Mal gibt.“

11
    Am nächsten Tag stand Manzetti

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