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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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gewandt hat“, stöhnte Sonja.
    „Ja“, sagte Manzetti und trank dann in einem Zug das Glas leer. „Sie werden das Kind bestimmt nicht selbst getötet haben, aber Gisela Goldberg gibt ihnen die Schuld an seinem Tod, und ich wette, dass jene Franziska, die von Gisela Goldberg als vermisst gemeldet wurde, ihr Kind war, womit wir wieder bei La Bohème wären, nämlich bei der Romanfigur.“ Manzetti drehte sich zu Sonja. „Wir hatten uns ja schon so weit vorgetastet, dass es der Täterin nicht um die Mimi von Puccini, sondern um die Franziska von Murger geht. In Wirklichkeit geht es aber wohl um Franziska Goldberg.“
    „Das scheint alles zusammenzupassen“, musste Sonja nun zugeben.
    „Und deshalb werden wir diese Spur weiter verfolgen.“
    „Und welche Rolle spielt Elliott Silbermann dabei?“, fragte Köppen.
    „Das klären wir, wenn wir Gisela Goldberg haben.“

18
    Manzetti blickte aus dem Fenster. Draußen flog die triste Landschaft Niedersachsens vorbei. Der ICE peitschte mit über zweihundert Kilometern in der Stunde über graue Äcker, zerschnitt dichten Bodennebel, und Manzetti zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie mit dieser hohen Geschwindigkeit unter einer der vielen Brücken hindurchrasten.
    Er guckte zum siebten oder achten Mal auf seine Armbanduhr. Bis Dortmund würden sie noch ziemlich lange brauchen, also blieb genügend Zeit, sich mit den anderen Fahrgästen im Abteil vertraut zu machen. Reisende beobachten, das hatte er schon als kleiner Junge zu gerne getan, zusammen mit seinem italienischen Großvater in der Altstadt von San Gimignano. Sie hatten reichlich Stoff geboten, die deutschen Touristen, wenn sie endlich durchgeschwitzt aus den Bussen gespuckt wurden, blass wie eine Fuhre Eisbären und mit einem Geruch, der an kleine Ziegen erinnerte, die zu lange in der Sonne gestanden hatten. Er sah es noch vor sich, wie sein Großvater dem alten Weinhändler zuzwinkerte, der in der Tür erschienen war, um mit einer tiefen Verbeugung ein deutsches Ehepaar zu verabschieden, das glaubte ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Sie, noch das Portemonnaie wegsteckend, und er, beladen mit drei Beuteln voller Köstlichkeiten. Chianti zu Barolopreisen und Olivenöl, das so überteuert war, dass es locker an der Börse hätte gehandelt werden können. Der Weinhändler zwinkerte hinter den Rücken der Deutschen freundlich zurück und lotste nach Möglichkeit gleich den nächsten Urlauber in sein Paradies.
    Hier im Zug saßen allerdings andere Menschen. Um Generationen reifer, weltgewandter und damit immun gegen den Hinterhalt toskanischen Geschäftssinns. Zum Beispiel zwei Reihen von ihm entfernt ein jugendlich wirkender Banker, eingehüllt in seine Armani-Uniform, der pausenlos auf einem Notebook herumtippte, das wie eine Insel wirkte zwischen all den Papierstößen, die ihn als wichtiges Mitglied der Gemeinde der Deutschen Bank auswiesen. Nur gelegentlich schaute er vom Bildschirm auf und hinüber zu Sonja und rang sich dabei sogar ein leises Lächeln ab, bevor er wieder emotionslos auf seine Tasten blickte, um die richtigen Zahlen in sein Banker-Sudoku einzutragen.
    Manzetti fragte sich, ob dieser Jungspund wirklich schon so süchtig nach Arbeit war, oder ob er nur der eigenen Bedeutung nachgab. Egal. Ihm jedenfalls würde es nicht im Traum einfallen, via Handy die eigene Mailbox mit englischen Sprachfetzen zu füttern, die eigentlich für die dann hoffentlich staunenden Mitreisenden gedacht waren.
    Und Sonja? Die hätte auch im wachen Zustand kein Auge für den jungen Mann gehabt. Nicht weil er ein wenig asiatisch aussah, möglicherweise kam ja seine Mutter aus Japan, aber er wäre ihr zu dick. Wer schon mit dreißig Speck ansetzt, platzt mit fünfzig aus allen Nähten, lautete eine ihrer Weisheiten, die sie nie aussprach, ohne dabei auf Manzettis Bauch zu starren. Vielleicht hätte sie sich aber auch vom Aufzug des Bankers abgestoßen gefühlt, der nicht zu ihren Camperschuhen passte. Das Asiatische, war sich Manzetti sicher, würde sie wohl eher nicht stören. „Ich bin kein Rassist“, hatte sie mal behauptet, als einer ihrer One-Night-Stands nach getaner Arbeit auf der Polizeiwache erschienen war, um Anzeige gegen sie zu erstatten. „Ganz im Gegensatz zu meiner Katze“, hatte sie in ihrer von Claasen geforderten Stellungnahme formuliert. Vielleicht habe sie deshalb das Gesicht des dunkelhäutigen Kubaners zerkratzt. – Jetzt saß Sonja tief in das Polster versunken und schlief friedlich. Welch

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