Havelsymphonie (German Edition)
ein Glück für den Banker.
Und Manzetti? Er war allein mit seinen Gedanken.
Wohin würde ihn diese Reise führen? Hatte sie etwas von der Fahrt in den Hades, an dessen Eingang Zerberus stand, der niemanden wieder hinausließ? Würde er in eine Vergangenheit voller Elend und Grausamkeit, in eine Welt der Düsternis und Verzweiflung eintauchen, die er nie wieder vergessen könnte?
Je länger er über die letzten Tage nachdachte, umso überzeugter war er, dass Gisela Goldberg die Mörderin von Carolin Reinhard und Birgit Walter war und dass ihr Motiv ihn in die Abgründe der deutschen Nachkriegsgeschichte führen würde.
*
Manzetti hielt noch immer seinen Dienstausweis in der Hand, als Sonja neben ihm ziemlich verschlafen den Bahnsteig betrat.
„Willkommen.“ Die junge Mitarbeiterin des Polizeipräsidiums Dortmund reichte ihm die Hand und strahlte .
„Guten Tag“, grüßte er zurück und verstaute den Ausweis, auf den die junge Kollegin nicht einen Blick geworfen hatte.
„Ich heiße Julia Küpper und bin so etwas wie Ihre Begleitung für die Zeit in Dortmund.“
Manzetti sah in das recht hübsche Gesicht, aus dem zwei hell leuchtende Augen blitzten. Julia Küpper schien ein Neuling direkt von der Polizeischule zu sein, sie hatte noch eine sehr natürliche Ausstrahlung. Alte Hasen strahlen nicht so.
„Wenn es dir nichts ausmacht, sollten wir das polizeiübliche Du benutzen… Ich heiße Andrea und das ist Sonja. Unter Kollegen finde ich das deutsche Sie zu steif.“
„Gerne!“ Julia Küpper besiegelte das Angebot Manzettis sofort mit einem neuen Handschlag, der etwas kräftiger ausfiel. Kollegialer eben.
Anschließend fuhr sie mit ihren Gästen zum Polizeipräsidium Dortmund. Dort musste Manzetti wieder unzählige Hände schütteln, Neugier befriedigen, Grüße einsammeln und sogar im Zimmer eines Abteilungsleiters erzählen, wie es mittlerweile dem guten alten Ole Claasen ging. Manzetti erzählte brav von den Hobbys seines Chefs, nutzte dabei reichlich seine südländische Fantasie und scheute sich auch nicht, diverse Liebschaften mit Ladendiebinnen zu erfinden, die den Weg Claasens pflasterten. Das alles schien den Dortmunder Direktor allerdings nicht wirklich zu interessieren. Der hatte die Frage nach Claasen wohl nur als Einstieg für die Darstellung der selbst erlebten Heldentaten genutzt und schilderte seinem Brandenburger Besucher eine halbe Stunde lang filmreife Begebenheiten.
Kurz vor fünfzehn Uhr saß Manzetti dann endlich im Fond eines Dienst-BMWs der Dortmunder Polizei, vor sich die beiden Kolleginnen in trauter, aber verschwiegener Zweisamkeit.
Warum redeten Frauen selten miteinander, wenn sie sich fremd, in der gleichen Hierarchieebene und im selben Alter waren? Manzetti wusste es nicht, auch wenn er sich schon dutzende Male vorgenommen hatte, genau das herauszufinden. Vielleicht war es ja nur die Ruhe vor dem Sturm unendlicher Gespräche, der losbrechen würde, wenn erst einmal das Eis geschmolzen und die anfängliche Stutenbissigkeit vergessen war.
„Wo wohnt Frau Walter denn in Dortmund?“ Manzetti wurde das Schweigen langsam zu eisig.
„Sie wohnt in Witten“, antwortete Julia Küpper, wobei zwei niedliche Grübchen neben ihrem Mund entstanden, die aber sofort wieder verschwanden, als sie Sonjas Blick wahrnahm. Besserwisserin .
Julia ließ sich aber nicht gänzlich einschüchtern. „Nach ihrer Pensionierung ist sie von Dortmund nach Witten gezogen. Wir brauchen ungefähr eine halbe Stunde.“ Dann strahlte sie Manzetti wieder durch den Rückspiegel an. Mit Grübchen.
„Danke.“ Er nickte ihr freundlich zu.
Am Brandacker in Witten, einer steilen Straße mit kleinen Mehrfamilienhäusern, parkten sie den BMW in einer Lücke zwischen einem rostigen VW-Passat, Baujahr um 1990, und einem noch älteren Renault 4. Dann klingelte Manzetti bei Walter, Parterre rechts.
Als Frau Walter die Tür öffnete, trat ein kleiner, wieselflinker Körper vor Manzetti und streckte der alten Frau die Hand entgegen. „Guten Tag. Ich heiße Julia Küpper und arbeite im Polizeipräsidium Dortmund.“
Frau Walter wirkte überrascht, ja fast überfallen. Ihre Augen wechselten eine Etage höher und blieben an Manzetti haften, als suchten sie dort Hilfe. „Sind Sie der Polizist aus Brandenburg?“
Manzetti nickte wortlos.
„Kommen Sie.“ Frau Walter drehte sich behäbig um, was so viel hieß wie „Folgt mir!“
Als Manzetti einen Schritt nach vorn machen wollte, sah er im Augenwinkel
Weitere Kostenlose Bücher