Havelsymphonie (German Edition)
zu kennen glaubte und auf den Leiter der Polizeidirektion Brandenburg noch keine Lust hatte, hörte er nur die Nachricht von Sonja ab.
„Andrea“, hatte sie auf die Mailbox geschnauft. „Der Gastwirt ist jetzt hier, und Köppen holt gerade den Intendanten von zu Hause ab. Sie müssten in zwanzig Minuten da sein. Was soll ich mit ihnen machen? … Andrea, verflucht noch mal, ruf mich unbedingt an! … Hörst du? …Du sollst mich nicht immer mit so halb angedachtem Zeug …“ An der Stelle hatte er genug gehört, klappte das Telefon zu und Sonja verstummte. Da er aber selbst Lust auf einen guten Cappuccino hatte, beeilte er sich, wieder zum Theater zu kommen.
*
Als sein Handy die Fünfte von Beethoven klingelte, bog Manzetti gerade in die Kurstraße ein. Mit einem Blick auf das Display hätte er sich allerdings gerne in die letzten Momente eines tiefen Schlafes gewünscht, aus dem er aufwachen würde, um dann beruhigt feststellen zu können, dass jenes Klingeln eben nur ein verflogener Traum wäre.
„Manzetti hier“, meldete er sich zurück in die Realität.
„Das weiß ich doch“, polterte Claasen. „Ich habe doch nicht aus Spaß Ihre Nummer gewählt. Was machen Sie gerade?“
Manzetti zögerte einen Augenblick. Er musste vorsichtig sein, denn allein die Tatsache, dass er sich vor Abschluss der Tatortarbeiten von der Leiche entfernt hatte, würde Claasen zu sehr verwirren, und er wollte nicht, dass sein Vorgesetzter so in den Tag starten müsste. Deshalb flüchtete er in eine kleine Notlüge. „Ich bin noch immer am Theater und suche Menschen, die als Zeugen infrage kommen könnten.“
„Gibt es denn welche?“ Claasen hatte anscheinend den Konjunktiv in Manzettis Worten komplett überhört.
„Bislang noch nicht, Herr Direktor. Aber wir bleiben am Ball.“
„Das will ich hoffen, Manzetti. Und wann könnten Sie hier sein, um mich direkt zu unterrichten?“
Manzettis Verstand drohte stillzustehen. Was war denn heute in seinen Chef gefahren? Der fragte doch sonst nie, sondern gab klare Befehle im Kommandoton.
„Ich denke in etwa einer Stunde.“ Manzetti machte damit großzügig Gebrauch von Claasens indirektem Angebot, sich Zeit zu lassen, wie er aus dessen Worten herausgehört hatte.
„Ich erwarte Sie um zehn, Manzetti. Vorher kann ich nicht. Also um zehn, und seien Sie einmal pünktlich.“ Dann legte er auf.
Es war nicht das Kopfschütteln über Claasen, das den richtigen Gedanken zu Tage förderte. Es war der Wochentag. Na klar. Heute war Donnerstag und da trafen sich die Rotarier zum Frühstück am Seehof. Also hatte er noch viel Zeit, und die galt es zu nutzen.
Als er schon an der alten Stadtmauer war, fiel ihm wieder ein, dass Kerstin ihn ja heute von seinen Vaterpflichten entbunden hatte und er sich wie immer auf sie verlassen konnte. Begleitet vom Rasseln der Türglocke trat er deshalb in den kleinen Blumenladen.
„Guten Morgen. Was bekommen Sie?“ Eine junge Frau kam um den Verkaufstisch herum.
„Gladiolen. Meine Frau liebt Gladiolen.“
„Da muss ich Sie leider enttäuschen.“ Die Verkäuferin bemühte sich um eine entschuldigende Geste und wischte sich ihre nassen Hände an der grünen Schürze ab. „Aber vielleicht nehmen Sie einen Strauß andere Lilien. Die hier vielleicht?“ Sie legte ihre Hand hinter eine weiße Blüte, die dadurch wunderschön betont wurde. „Nicht ganz das, was Sie wollten, aber den Gladiolen sehr ähnlich.“
Reichte es nicht, dass er sich mit Tod und Leichen beschäftigen musste? Sollte er seiner Frau auch noch eine Blume schenken, die viele mit Beerdigungen verbanden? Manzetti entschied sich dann doch lieber für rote Rosen. Der Kauf machte ihn zufrieden, und er verschwendete keinen Augenblick an den Gedanken, dass er nun den ganzen Tag mit einem Blumenstrauß herumlaufen würde.
Nach weiteren fünf Minuten trat er endlich durch die Tür der Theaterklause. Er hatte geglaubt, dass er hier auf den Intendanten und den Wirt , auf Köppen und Sonja treffen würde. Aber er hatte nicht vermutet, dass er in ein Lokal kommen würde, das gefüllt war wie an einem Samstagabend zur großen Premierenfeier. Waren es die Gaffer, die ihre Sensationslust nach drinnen verlegt hatten und dabei frierend ihre Leiber gegeneinander drängten? Oder hatte hier jemand telefonisch das gesamte Theatervolk zusammengeblasen?
Manzetti blieb in der Tür stehen und betrachtete die Leute, die in kleinen Grüppchen an Tischen saßen oder am Tresen standen. Er schaute von
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