Havelwasser (German Edition)
geräumt worden war und dass er es hätte verhindern können. Plötzlich bekam er Mitleid mit einer mehrfachen und skrupellosen Mörderin.
„Fahr schon alleine in die Wohnung zurück und buch uns im Internet eine Woche Urlaub ab morgen.“
„Wo möchtest du hin?“
„Nach Hause.“
„Nur nach Hause?“
„Ja. In die Toskana. Am liebsten nach Siena.“
Als Kerstin gegangen war, rief er Köppen zu sich, um ihn zu fragen: „Was haben Sie in der Wohnung von Frau Becker gefunden, das auf Elfenbein schließen ließ?“
„Auf Elfenbein?“, fragte der junge Kollege verwundert.
Eine weitere Frage stellte Manzetti nicht mehr. Er wusste augenblicklich, dass er Opfer seiner eigenen Nachlässigkeit geworden war. Als ihm gestern während der Vernehmung von Verena Becker die Botschaft gebracht worden war, dass man dieses Folterbuch und ein Kreuz gefunden hatte, hatte er zwar seine Schlüsse daraus ziehen können, aber leider versäumt, die Beweisstücke sofort in die Direktion bringen zu lassen. Er hatte wirklich gedacht, dafür noch viel Zeit zu haben, und war davon überzeugt gewesen, dass Dinge, die sich erst einmal in polizeilicher Obhut befanden, dort nicht mehr abhanden kommen würden. Aber damit hatte er offensichtlich das organisierte Verbrechen gehörig unterschätzt. Sie hatten nur eine Nacht gebraucht, um die objektive Beweislage einem gefälschten Geständnis anzupassen, und sich dabei seine Schluderei zunutze gemacht.
Köppen hatte zwar neben dem Fund des Folterbuches auch den des Kreuzes gemeldet, aber nie und nimmer angenommen, dass es sich um Elfenbein handelte. Manzetti hingegen war zwar davon überzeugt gewesen, hatte es aber nicht sofort zur Untersuchung in die Kriminaltechnik bringen lassen. Und nun war das alles ausgetauscht und somit nutzlos. Jedenfalls für ihn. Er griff wieder zum Telefon und wählte die Handynummer von Bremer.
„Bremer“, meldete er sich knurrend, und Manzetti konnte den Kater des Mediziners deutlich heraushören.
„Dottore, eine letzte Frage. Kommen Sie an das Blut von Verena Becker heran, die gestern bei Ihnen im Krankenhaus behandelt worden ist?“
„Ich kann mich erkundigen, rufe Sie gleich zurück.“
Es dauerte wirklich nicht lange, aber er hatte keine guten Nachrichten für Manzetti. „Tut mir leid, das Labor hat alles aufgebraucht.“
„Verdammter Mist!“
„Warum? Was ist denn mit ihr?“
Manzetti schilderte Bremer in kurzen Sätzen die Lage, und der Mediziner bedauerte aufrichtig, ihm nicht helfen zu können.
„Aber wenn sie den Virus von ihrem Mann haben soll, dann melde ich gehorsamst, dass es nicht sein kann. Der hatte nämlich kein Aids.“
„Wissen Sie das sicher?“
„Manzetti, für wen halten Sie mich denn? Na klar weiß ich das sicher.“
„Ist das aktenkundig?“
„Hm …“
„Ist es aktenkundig, Bremer?“
„Das nun nicht. Aber sicher trotzdem. Wissen Sie, mein lieber Commissario, wenn ich eine Leiche aus Schwarzafrika auf den Tisch bekomme, dann prüfe ich zur eigenen Sicherheit, nur zur Vorsicht, ob HIV im Spiel ist.“
„Und das ist eigentlich nicht ganz …“
„Sprechen Sie nicht weiter, Manzetti. Mit Ihrer Isotopenanalyse war es doch auch nicht anders.“
„Ja, Bremer, Sie haben ja Recht. Wir haben uns am Rand der Legalität bewegt und sind abgestürzt. Andere waren geschickter als wir“, musste er zugeben und verabschiedete sich. Jetzt war auch seine letzte Hoffnung begraben, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Verena Becker würde als Mörderin gelten, die allein aus Rache gehandelt hatte, und Kurt Franz & Partner würden weiter ihren Geschäften nachgehen können, vorsichtiger zwar, aber doch so lange, bis der letzte Elefant abgeknallt sein würde und auf dem Schild an einem Zoogehege geschrieben stünde:
„Dieser urwüchsige Dickhäuter bewohnte einst Savannen und Wälder Afrikas und Asiens. Durch Rodung der Wälder und starken Abschuss wurde der Elefant Anfang des 22. Jahrhunderts in der Natur ausgerottet. In Zoos und Gattern überlebten sechsundfünfzig Exemplare.“
ENDE
Der A utor
Jean Wiersch, Jahrgang 1963, lebt mit seiner Frau im Zentrum der Mark Brandenburg, in der Stadt, die dem Land den Namen gab, in Brandenburg an der Havel. Dort spielen auch seine Kriminalromane "Havelwasser", "Havelsymphonie" und "Haveljagd". Nach dem Studium an der Offiziershochschule der Marine war er einige Jahre als Seeoffizier tätig und trat 1994 in die Polizei des Landes Brandenburg ein. Er war Leiter einer
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