Havenhurst - Haus meiner Ahnen
Statt jedoch von dort aus durch die Glastüren in den Ballsaal zu treten, benutzte sie eine der Seitentüren und ging durch einen Salon hindurch in den Flur, der glücklicherweise leer war. Sie eilte die Treppe hinauf, um in ihr Zimmer zu gehen und sich dort wieder ein wenig herzurichten.
Vom unteren Treppenabsatz her hörte sie Stimmen, die ihr bekannt waren.
„Hat jemand Elizabeth gesehen? Das Dinner wird gleich serviert, und Lord Howard wünscht sie zu Tisch zu führen.“ Hastig ordnete sich Elizabeth mit den Fingern das Haar, schüttelte ihre Röcke aus und hoffte inständig, daß ihr von ihrem nächtlichen Abenteuer in der Gartenlaube nichts mehr anzusehen war.
„Ich glaube, sie wurde zuletzt im Garten gesehen“, sagte Valerie unten mit recht kühler Stimme. „Und anscheinend ist Mr. Thornton auch verschwunden.“ Sie sprach nicht weiter, denn in diesem Moment schritt Elizabeth hoheitsvoll die Treppe herab, die sie erst vor wenigen Minuten hinaufgeeilt war.
Sie stöhnte dramatisch und lächelte ihre drei Freundinnen an. „Das Wetter ist heute ja furchtbar drückend, nicht wahr? Ich wollte vorhin ein bißchen Luft im Garten schnappen, aber das half auch nicht, und so bin ich in mein Zimmer gegangen und habe mich eine Weile hingelegt.“
Gemeinsam schlenderten die jungen Damen durch den Ballsaal und an dem Spielsalon vorbei, in dem einige Herren beim Billard standen. Mit dem Queue in der Hand lehnte Ian Thornton an dem Tisch, der der Tür am nächsten war.
„Der Mann sieht ja unbestreitbar gut aus“, meinte Georgiana. „Wenn auch ein bißchen dunkel und irgendwie gefährlich“, fügte sie offenkundig entzückt hinzu.
„Gewiß.“ Valerie zuckte die Schultern. ,Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er ohne Herkunft, ohne Bildung und ohne Verbindungen ist.“
Als Elizabeth gleich darauf von Lord Howard zu Tisch geführt wurde und zwischen all den überaus festlich gekleideten Gästen Platz nahm, suchte sie mit verstohlenem Blick den großen Speisesaal ab, und schließlich entdeckte sie Ian.
Er saß zwischen dem Duke of Hammond und Valeries schöner Schwester Charise, deren Hand ziemlich besitzergreifend auf seinem Arm lag. Während sich der Herzog mit einer üppigen Blondine zu seiner Linken unterhielt, lauschte Ian offensichtlich aufmerksam auf Charises munteres Geplapper. Als er bei einer Bemerkung auflachte, riß Elizabeth den Blick von dem schönen Paar los.
Sie hatte das Gefühl, als hätte man ihr einen Schlag in den Magen versetzt. Die zwei sahen aus wie füreinander bestimmt. Beide waren dunkelhaarig und elegant, beide waren schön. Und sicherlich haben sie auch sonst noch eine Menge gemeinsam, dachte Elizabeth und sägte mit ihrem Messer geistesabwesend auf dem ihr servierten Hummer herum.
Lord Howard neigte sich lächelnd zu ihr. „Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten - er ist schon tot.“ Auf Elizabeths verwirrt fragenden Blick hin deutete er auf ihren Teller. „Der Hummer da ist bereits tot. Sie brauchen ihn nicht zum zweitenmal zu ermorden.“
Elizabeth lächelte verlegen und bemühte sich fortan, ein aufmerksamer und höflicher Gast unter Gästen zu sein.
„Würden Sie mir gestatten, morgen für meinen Vetter einzuspringen?“ fragte Lord Howard, nachdem das endlose Dinner schließlich doch abgeschlossen war und die Gäste sich vom Tisch erheben konnten. „Darf ich Sie zum Ausflug in das Dorf begleiten?“
Dies war der Augenblick, in dem Elizabeth sich entscheiden mußte, ob sie sich morgen mit Ian in der Holzfällerhütte treffen wollte oder nicht. Nein, ihr blieb ja gar keine Entscheidungsfreiheit. „Ich würde mich freuen“, sagte sie mit strahlendem, wenn auch unechtem Lächeln. „Vielen Dank.“ „Wir werden um halb elf Uhr morgens aufbrechen, und es sind die üblichen Vergnügungen geplant: ein Einkaufsbummel, ein später Mittagsimbiß im örtlichen Gasthaus und ein gemeinsamer Ritt durch die schöne Umgebung.“
Wie entsetzlich langweilig, dachte Elizabeth. „Wie reizend“, sagte sie so nachdrücklich, daß der Lord sie etwas bestürzt anblickte.
„Geht es Ihnen auch gut?“ erkundigte er sich, als er ihre geröteten Wangen und ihre glänzenden Augen bemerkte.
„Mir ging es nie besser. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen — ich habe Kopfschmerzen und möchte mich zurückziehen.“ Sie erhob sich und ließ einen reichlich verwirrten Lord Howard zurück.
Sie war die Treppe schon zur Hälfte hinaufgestiegen, als ihr bewußt wurde, was
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