Havenhurst - Haus meiner Ahnen
das heiße Badewasser hereintrugen.
Es war bereits halb eins, als sie schließlich die Treppe hinunterstieg. Mit einem eleganten pfirsichfarbenen Reitkostüm und einer dazu passenden Federkappe bekleidet, verließ sie das Landhaus. Während sie bei den Ställen darauf wartete, daß ihr der Pferdeknecht ihre Stute sattelte, sah sie immer das Bild eines einsamen Mannes vor sich, der in einer Waldhütte auf eine Frau wartete, die nicht kommen würde.
Ein Blitz fuhr über den grauen Himmel, und sie blickte besorgt in die Höhe. In einen Regenguß zu geraten, war nicht gerade nach ihrem Geschmack.
„Ich glaube, vor heute abend wird es wohl nicht regnen“, meinte der Stallbursche. „Hier in dieser Gegend blitzt und donnert es immer eine ganze Menge, aber regnen tut es dann nicht.“
Das war die Ermutigung, die Elizabeth brauchte.
★
Die ersten dicken Regentropfen fielen, als Elizabeth eine Meile auf der Landstraße zurückgelegt hatte.
„Wie großartig“, sagte sie laut und ärgerlich und trieb ihre Stute zur Eile an. Ein paar Minuten später merkte sie, daß der leichte Wind sich zu einem Sturm auswuchs und daß die Temperatur beträchtlich sank. Es regnete inzwischen nicht mehr; es goß. Als sie den Pfad sah, der von der Landstraße abzweigte, war sie bereits halb durchgeweicht.
Um Schutz unter den Bäumen zu finden, lenkte sie die Stute von der Straße auf den Pfad. Hier bildeten die Äste wenigstens eine Art Schirm, wenn auch einen ziemlich durchlässigen. Blitz und Donner folgten immer rascher aufeinander, und entgegen der Voraussage des Stallknechts schien sich ein regelrechtes Unwetter zusammenzubrauen.
Elizabeths Gedanken befanden sich bei dem Holzfällerhaus am Ende dieses Pfades. Wahrscheinlich maß sie der Begegnung von gestern abend viel zu große Bedeutung bei. Hatte sie nicht gesehen, wie Ian Thornton schon eine Stunde nach dem Kuß in der Gartenlaube mit Charise hatte flirten können? Wahrscheinlich hatte er auch heute sofort nach Ablauf der vereinbarten Frist den Treffpunkt verlassen und sich auf die Suche nach einer anderen Gespielin gemacht.
Sie konnte sich also ohne Bedenken Unterstand in der Waldhütte suchen, und sollte sich Thornton doch noch dort befinden, würde sie ja draußen sein Pferd sehen. Dann konnte sie immer noch umkehren.
Sie erreichte das Holzfällerhaus, das tatsächlich verlassen wirkte. Sie band ihre Stute unter einem Dachüberhang fest, stieß dann die Hintertür auf, trat ein und erstarrte.
Vor dem Kamin an der gegenüberliegenden Wand des kleinen Raums stand Ian Thornton und blickte in die Flammen. Er hatte seine Jacke abgelegt und die Hände am Rücken in den Bund seiner grauen Reithose geschoben. Als er jetzt die rechte Hand herauszog und sich damit durch das Haar fuhr, sah man seine Muskeln unter dem weichen Stoff des Hemds spielen. Elizabeth konnte sich nicht sattsehen an der männlichen Schönheit seiner breiten Schultern, seines kräftigen Rückens und seiner schmalen Hüften.
Erst nach ein paar Momenten schaute sie sich im Raum um, und nun sah sie auch, welche Mühe sich Ian gegeben hatte. Weißes Leinen bedeckte den einfachen Tisch. Zwei Gedecke aus blaugoldenem Porzellan, die offensichtlich aus Charises Haushalt stammten, waren aufgelegt, und eine Kerze brannte. Neben einer Platte mit kaltem Braten und Käse stand eine halbe Flasche Wein mit den passenden Gläsern.
Niemals hätte Elizabeth geahnt, daß Männer in der Lage waren, einen Tisch zu decken. So etwas taten Frauen und Dienstboten, aber doch nicht Herren, und schon gar nicht solche, die so schön waren, daß es einem das Herz umdrehte.
Elizabeth meinte, schon eine Ewigkeit dagestanden zu haben, als Ian ein wenig zusammenzuckte, als spürte er plötzlich ihre Anwesenheit. Er drehte sich zu ihr um, und ein Lächeln erhellte sein zuvor finsteres Gesicht.
„Sehr pünktlich sind Sie nicht.“
„Ich wollte überhaupt nicht kommen“, gab Elizabeth zu. „Weshalb ich es dann doch getan habe, weiß ich nicht.“
„Sie sind naß. Kommen Sie ans Feuer.“ Nachdem sie dennoch an der Tür stehenblieb und ihn ein wenig argwöhnisch anschaute, kam er auf sie zu.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte sie atemlos, während ihr alles einfiel, wovor Lucinda Throckmorton-Jones sie im Zusammenhang mit Männern gewarnt hatte.
„Ihre Jacke“, antwortete er.
„Nein... Ich glaube, die möchte ich lieber anbehalten.“ „Ausziehen!“ befahl er leise. „Sie ist naß.“
„Also ich muß doch sehr
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