Hawaii
war in die Betrachtung großer Ereignisse vertieft, die er in Bewegung gesetzt hatte. Er starrte durch den Steuermann hindurch, an den Ruderern vorbei auf den wuchtigen Felsen, der den höchsten Punkt von Bora Bora bildete.
Von seinem Posten am Abhang des zerklüfteten Bergmassivs eilte nun der Wächter zu der Residenz des Königs hinab und rief: »Der Hohepriester kehrt zurück!« Die Furcht, die der Wächter instinktiv empfand, wurde von seinem Ruf weitergetragen, und die Frauen, die ihn hörten, wandten sich ihren Männern zu und blickten sie in den dunklen, mit Palmblättern gedeckten Hütten zärtlicher an.
Obwohl der aufgeregte Späher seine erschreckende Meldung jedem mitteilte, wollte er doch vor allem einen Mann damit in Bewegung setzen, und während er unter den Brotfruchtbäumen und Palmen dahinrannte, flüsterte er leise: »Götter von Bora Bora, beflügelt meinen Schritt! Laßt mich nicht zu spät kommen!«
Er eilte auf ein Gras haus zu, das größer als die umliegenden Häuser war, fiel davor flach auf den Boden und rief: »Der Hohepriester ist in der Lagune!« Ein großer, braunhäutiger junger Mann, ein Höfling des Königs, streckte sein verschlafenes Gesicht aus dem Haus und fragte erschreckt: »Schon in der Lagune?«
»Er ist durch das Riff«, berichtete der Wächter.
»Warum hast du nicht...« In großer Erregung griff der junge Mann nach seinem Staatsgewand, das aus gestampfter Baumrinde gemacht war, die man Tapa nannte, und rannte, ohne es ordentlich anzuziehen, zu dem Palast. Er rief: »Der Hohepriester ist nah!«, eilte an anderen Höflingen vorbei und vor den König. Dort warf er sich auf die weiche PandanusMatte, die auf dem Boden lag, und berichtete mit dringlicher Stimme: »Seine Heiligkeit schickt sich an, die Insel zu betreten.«
Derjenige, an den sich diese erregten Worte richteten, war ein schöner dreiunddreißigjähriger Mann, dessen kurzgeschorenes Haar an den Schläfen schon grau zu werden begann, und in dessen weit auseinanderstehenden Augen ernste Weisheit leuchtete. Wenn er auch die gleiche Furcht vor der Rückkehr des Hohepriesters empfand wie seine Untertanen, so wußte er sie zu verbergen; aber der junge Höfling bemerkte dennoch, daß sich sein Herr mit ungewöhnlicher Eile in die Schatzkammer begab, wo er ein bis zu den Knöcheln reichendes Gewand aus heller Tapa anzog und sich zum Zeichen seiner Würde ein kostbares Band aus gelben Federn über Schulter und Brust hing. Dann setzte er einen Helm aus Muscheln und Federn auf und legte sich eine Kette aus Haifischzähnen um den Hals. Im rechten Augenblick gab der Höfling ein Signal und sogleich wurden entlang der Küste Trommeln in königlichen Rhythmen gerührt.
»Wir werden dem Hohepriester unsere Ehrerbietung darbringen«, verkündete der König ernst, während er wartete, bis sich ein eindrucksvoller Zug aus braunen Kriegern hinter ihm gebildet hatte. Fast gegen seinen Willen drängte der König seine Mannen: »Eilt euch! Wir dürfen nicht zu spät kommen«, denn obwohl jedermann ihn als den alleinigen Herren dieser Insel anerkannte, so hielt er es doch für klug, den geistlichen Fürsten nie die nötige Hochachtung schuldig zu bleiben, vor allem da die Attribute und Bedürfnisse des neuen Gottes Oro noch nicht genau bekannt geworden waren. Des Königs Vater hatte die Macht der neuen Gottheit unterschätzt, und in einer feierlichen Versammlung im Tempel des Oro hatte ihn der Hohepriester plötzlich der Unehrerbietung bezichtigt. So war dem König der Schädel eingeschlagen und sein Körper dem roten Oro, dem mächtigen Schutzherrn der Inseln, als menschliches Opfer dargebracht worden. Aber trotz der Sorge des Königs mußte ihn sein Höfling erinnern: »Seine Heiligkeit nähert sich schon dem Landeplatz.« So begann der König mit seinem Gefolge zu rennen, und jeder hielt seine Dienstabzeichen fest. Der König, der sich der Lächerlichkeit bewußt wurde, die dieser Anblick bot, aber aus Furcht nicht langsamer gehen wollte, blickte wütend auf seinen Adjutanten, der die Meldung zu spät überbracht hatte. Der Höfling hatte Mühe, seinen Tapa-Schurz in Ordnung zu halten, geriet in Schweiß und betete leise: »Wenn ein Opfer dargebracht werden muß, so verschont mich, Götter von Bora Bora!«
Wütend über die Schmach, die er erlitt, und vor sich hin brummend, stolperte der König unter der heißen Morgensonne weiter. Aber er erreichte den Landeplatz einen Augenblick vor dem Kanu. Obwohl er es nicht wissen konnte,
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