Hawaii
half die schwitzende Verlegenheit, in der er sich befand, mehr als daß sie schadete, denn in seinem Auslegerkanu bemerkte der Hohepriester mit Zufriedenheit das Unbehagen des Königs und ließ sogar für Augenblicke ein Lächeln um seine Lippen zucken. Aber er unterdrückte es schnell und wandte sich wieder seiner erhabenen Betrachtung der Bergspitze zu. Sanft setzte der Steuermann das Kanu auf den Strand und war besorgt, daß kein unangenehmer Zwischenfall die Aufmerksamkeit des Priesters erregte; denn die Ruderer wußten, welche Botschaft der heilige Mann aus dem Tempel des Oro brachte, und an diesem Tag empfahl es sich für jeden, auf der Hut zu sein. Als das Kanu festgemacht war, stieg der Hohepriester, dessen weißer, mit Hundezähnen eingefaßter Tapa-Umhang von seinem schwarzen Haar abstach, mit vieler Würde aus.
Es war ein machtvolles Symbol Oros, als er mit seinem geschnitzten Stab auf den König zuging und nur eben das Knie ein wenig beugte, um anzudeuten, daß er die Macht des Königs respektiere. Dann richtete er sich wieder zu seiner ganzen Höhe auf und verharrte grimmig, während König Tamatoa, der sogenannte Herrscher, sich tief verbeugte, um allen Augenzeugen deutlich zu machen, daß die Macht auf geheimnisvolle Weise aus seiner Hand in die des Hohepriesters übergegangen war. Dann sprach der König. »Oh, Auserwählter der Götter«, so begann er. »Was ist Oros Wunsch?« Die Menge schöner, halbnackter Menschen, die sich im Kreise drängten, hielt in böser Vorahnung den Atem an, was der Hohepriester mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. Er ließ sich Zeit, während eine sanfte Brise von der Lagune her durch die Palmen strich und die dunkelgrünen Blätter des Brotfruchtbaums in schwankende Bewegung setzte. Dann sagte er feierlich: »Es wird eine Versammlung geben!« Keiner atmete, um nicht die verheerende Aufmerksamkeit des Hohepriesters auf sich zu lenken. Der Hohepriester fuhr fort: »In Tahiti soll ein neuer Tempel errichtet werden, und wir kommen zusammen, um dem Gott zu opfern, der in diesem Tempel wohnen wird.« Er hielt inne, und Furcht kroch über die Gesichter der Zuhörenden. Selbst König Tamatoa, der damit rechnen konnte, daß er verschont blieb, begannen die Knie zu wanken, während er auf die furchtbaren Einzelheiten wartete, welche stets die Ankündigung einer großen Versammlung aller Inseln in Oros Tempel beschloß.
Aber auch der Hohepriester wartete, weil er wußte, daß, je länger das Grauen anhielt, auch der Eindruck von der Macht und Unberechenbarkeit des neuen Gottes auf die oft widerspenstigen Bewohner Bora Boras nur desto stärker war. Heute wollte er sogar den König dazu bringen, die schreckliche Frage selbst zu stellen.
Die Fliegen, die sich am Strand der Lagune sonst von toten Fischen nährten, überfielen die nackten Rücken der wartenden Menge. Aber keiner wagte sich zu rühren, um nur nicht aufzufallen. Der König wartete. Der Priester wartete. Endlich fragte Tamatoa mit leiser Stimme: »Wann ist die
Versammlung?«
»Morgen!« sagte der Hohepriester streng, und seine Mitteilung wurde so ausgelegt, wie er beabsichtigt hatte. Der König dachte: »Wenn die Versammlung morgen stattfinden soll, dann muß schon vor zehn Tagen hierüber bestimmt worden sein! Wie hätte sonst die Nachricht so rechtzeitig nach Tahiti gelangen können, daß das Kanu von dort morgen pünktlich in Havaiki war? Unser Hohepriester muß während dieser zehn Tage in geheimer Verbindung mit dem Priester des Oro gestanden haben.« Die Fliegen zerstachen die schwitzenden Rücken, aber niemand rührte sich, und alles erwartete die nächste furchtbare Frage. Schließlich fragte Tamatoa: »Wieviel Männer fordert Oro?«
»Acht«, antwortete der Priester kalt. Mit seinem Stab, bei dessen Anblick viele aus der schweigenden Menge zusammenbrachen, wandte sich der hagere dunkle Mann im strahlend hellen Mantel dem Tempel zu. Aber da es schon schien, als sei er mit der Menge fertig, drehte er sich noch einmal um, ließ einen erschreckenden Laut aus seiner Kehle hervorbrechen und stieß mit seinem Stab nach dem Steuermann, der ihn sicher in die Lagune geführt hatte. »Und dieser soll der erste sein!« schrie er. »Nein! Nicht!« flehte der Steuermann und fiel auf die Knie. Unerbittlich erhob sich der hagere Priester über ihn und ließ seinen Stab nicht sinken. »Als uns die Wogen bedrohten«, rief er anklagend, »hat er nicht zu Oro um Errettung gebetet, sondern zu Tane.«
»Oh, nein!« flehte der
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