Hawaii
noch nie ein solches Omen gesehen«, wich Teura aus. »Kann es bedeuten, daß Tane eine feste, unverrückbare Schranke vor uns aufgerichtet hat?« fragte Tamatoa, denn er hatte die Verpflichtung, die Fahrt im Einklang mit dem Willen der Götter zu halten. Andere konnten es sich leisten, ein Omen zu mißdeuten, er nicht.
»Es scheint fast so«, sagte Teura. »Warum stünde der Stern sonst dort wie ein Fels?« Furcht ergriff sie, denn wenn Tane gegen ihre Reise war, dann mußten sie alle umkommen. Sie konnten nicht mehr zurück. »Und doch«, erinnerte Tupuna, »heißt es in dem Lied, wir sollen, wenn sich der Westwind legt, über das stille Meer auf den neuen Stern hinrudern. Ist das nicht der neue Stern, der dort fest steht, damit wir uns nach ihm richten können?« Lange diskutierte die Gruppe diese hoffnungsvolle Auslegung und gaben ihr schließlich den Vorzug. Sie beschlossen deshalb, was zu tun sei: während des nächsten Tages den Kurs beizubehalten, der durch den Westwind vorgeschrieben war, am nächsten Abend wieder zusammenzukommen und alle Omen zu erwägen. Die vier gingen wieder an ihre Plätze und verrichteten ihre verschiedenen Aufgaben; aber während der restlichen Augenblicke der Nacht stand Teroro allein im Bug des Schiffes und beobachtete den neuen Stern. Langsam entfaltete sich ein neuer Gedanke in seinem Hirn, vorsichtig zunächst, wie eine Trommel in weiter Ferne, und dann mit zwingender Gewalt.
Leise begann er: »Wenn der neue Stern feststeht...
Angenommen, er hängt tatsächlich in jeder Nacht und zu allen Zeiten dort... Sagen wir einmal, jeder Stern des neuen Himmelszeltes könnte mit ihm nach einem bekannten Schema in Beziehung gesetzt werden... « Er verlor den Faden des Gedankens und begann von vorn.
»Wenn dieser Stern unbeweglich ist, dann muß er in einer bekannten Höhe über dem Horizont angebracht sein... Nein, das ist nicht richtig. Was ich meine, ist: für jede Insel muß dieser Stern in einer bekannten Höhe hängen.. Fangen wir mit Tahiti an. Wir wissen genau, welche Sterne zu welchen Zeiten direkt über Tahiti hängen. Wenn nun dieser feste Stern..« Abermals entglitt ihm der Faden seines Gedankens, doch spürte er, daß sich hier irgendein großer Plan der Götter kundtat. Er schlang einen Arm um Tanes Mast und konzentrierte sich mit seinem ganzen Sein auf den neuen Stern. »Wenn er immer dort hängt, dann müssen alle Inseln in einem bestimmten Verhältnis zu ihm stehen. Wenn du also einmal gesehen hast, in welcher Höhe dieser Stern steht, weißt du genau, wie weit du nach Süden oder Norden fahren mußt, um deine Insel wiederzufinden. Wenn du den Stern sehen kannst, wirst du es wissen! Wirst du es wissen!« Plötzlich sah Teroro mit überraschender Klarheit ein neues Navigationssystem, das sich auf Tanes Geschenk, den festen Stern, gründete, und er dachte: »Das Leben der Seeleute in diesen Gewässern muß süß sein!« Denn nun wußte er, daß die nördlichen Seefahrer das hatten, was denen im Süden abging: einen Stern, der ihnen mit einem Blick sagte, in welcher Breite sie sich befanden. »Die Himmel stehen fest!«jauchzte er im Stillen. »Und ich bin frei, mich unter ihnen zu bewegen.« Er blickte glücklich nach Westen, wo ihm die KLEINEN AUGEN vor der Dämmerung noch zublinkten, und er flüsterte: »Das neue Land, dem du uns zuführst, muß wahrlich süß sein, wenn es in einem so ordentlichen Ozean unter solch geordnetem Himmel ruht.« Und für den Rest der Reise, während all der furchtbaren Tage, die vor ihnen lagen, blieb Teroro allein von allen auf dem Kanu ohne Furcht. Er war sicher. Er war überzeugt, daß Tane seinen festen Stern nur mit einer hohen Absicht dorthin gehängt haben konnte, wo er hing. Und er, Teroro, ahnte diese Absicht. Bis jetzt hatte er noch nicht bewiesen, daß er seinen Namen zu Recht trug: das Gehirn. Natürlich konnte er niemals ein so kenntnisreicher Priester werden wie Tupuna. Das war bedauerlich, denn Priester wurden gebraucht. Auch hatte er keine Erfahrungen in politischen Dingen, wie sein Bruder. Aber in dieser Nacht hatte er gezeigt, daß er etwas verstand, was niemand seiner Gefährten konnte: er konnte das Offenkundige im Universum sehen und von dort einen neuen Begriff ableiten. Größeres erreicht kein Verstand. Auf dem, was Teroro in dieser Nacht entdeckt hatte, sollte die Navigation der Insel, die vor ihnen lag, begründet und ihre Lage im Ozean bestimmt werden. Vor Freude über seine Entdeckung wollte Teroro singen,
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