Hawaii
einem schimmernden Satz in den Wellen - ihr persönlicher Gott, ihre Rettung. Mit einem wilden Schrei rief sie: »Regen! Regen!« Und alle eilten aus dem Haus. Todesmatte Schläfer erwachten und entdeckten, daß ein Sturm auf sie herabfuhr.
»Regen!« murmelten sie, als die Wolke über das Meer daherjagte. »Er kommt!« jauchzte Tamatoa. »Unsere Gebete wurden erhört.« Aber die alte Teura, die wild lachen mußte, als das wohltuende Wasser auf ihr Gesicht prasselte, erkannte in dem Herz des Sturms ihren eigenen Gott: Mano, der mit seinen Flossen die Wellen teilte.
Wie auf einen Befehl hin begannen die fast schon toten Reisenden ihre Kleider von sich zu werfen, ihre Tücher und Muscheln, bis sie nackt in dem göttlichen Sturm standen und mit ihren Augen und schwärenden Achselhöhlen und verdorrten Lippen das erfrischende Wasser tranken. Der Wind erhob sich, und der Regen wurde stärker, aber die nackten Männer und Frauen von Bora Bora hörten nicht auf, in den niedergehenden Fluten zu baden. Segel stürzten herab, und der Mast Ta'aroas wurde fast davongetragen, und die Hunde heulten, aber die Menschen in dem Kanu schlürften das Wasser ein und umarmten einander. Bis in die Nacht hielt der Sturm an, und es schien, als müßten die Teile des Kanus auseinanderbrechen, aber niemand bat den Sturm um Mäßigung. Sie kämpften mit ihm, sie tranken ihn und wuschen ihre schmerzenden Leiber in ihm. Und im Dämmerschein, als sie vor reiner Freude erschöpft waren, entdeckten sie zwischen den sich zerteilenden Wolken, daß sie sich fast unter der Bahn der SIEBEN KLEINEN AUGEN befanden.
Sie wußten, daß sie dem Ostwind folgen mußten, der ihnen diesen Sturm gebracht hatte. Denn ihr Ziel lag irgendwo im Westen.
Sie segelten eine lange Strecke in der Windrichtung. Fast zweitausend Meilen liefen sie vor dem Ostwind her und legten täglich mehr als hundertfünfzig Meilen zurück. Jetzt verharrte der feste Stern in ungefähr der gleichen Höhe über dem Horizont zu ihrer Rechten, während sie sich dicht an die Bahn der KLEINEN AUGEN hielten. Bei Sonnenuntergang mußte Teroro seine Kokosnuß zurückneigen, um den hellen Stern aufzufangen, der dicht bei den KLEINEN AUGEN stand, wenn sie im Osten aufgingen. Wenn dann später das Sternbild, das die Menschen der Wüste ADLER nannten, im Westen versank, steuerte er nach dessen hellem Stern und hielt sich die
KLEINEN AUGEN stets im Rücken. So hielt er festen Kurs.
Auf dieser langen westlichen Strecke rettete König Tamatoa mit seiner früheren Forderung nach schärfster Disziplin die Reise vor dem Mißerfolg. Denn der Proviant ging beängstigend zur Neige, und aus einem seltsamen Grund bissen die Fische in diesen fremden Gewässern nicht an. Tupuna erklärte das Phänomen damit, daß die Fische hier unter dem Einfluß des festen Sternes lebten und daß die Fischhaken aus Bora Bora diesen neuen Umständen nicht angemessen wären. Alle Frauen und alle Männer, die nicht ruderten, warfen lange und kurze Leinen aus, aber ohne Erfolg. Es waren nur noch einige Kokosnüsse und ein geringer Vorrat an Brotfrucht übrig, aber kein Taro. Auch die Schweine, die für den Erfolg der Reise unbedingt wichtig waren, verhungerten langsam. Aber in dieser äußersten Notlage hielten sich die Ruderer, die ständig arbeiteten, außerordentlich gut. Ihre Mägen hatten sich schon längst zu harten, kleinen Knollen zusammengezogen, die unter ihren starken Bauchmuskeln fast verschwanden. Ihre kräftigen Schultern, aus denen nach der steten Anstrengung eines Monats die letzte Spur von Fett gewichen war, schienen ihre Spannkraft aus nichts zu regenerieren. Da sie fast ohne Nahrung und Wasser auskamen, schwitzten sie nicht. Und mit ihren im Sonnenlicht geröteten Augen suchten sie unablässig den Horizont nach einem Zeichen ab.
Es war jedoch die alte Teura, die das erste bedeutsame Zeichen entdeckte. Am siebenundzwanzigsten Morgen sah sie auf den Wellen ein Stück Treibholz, das von einem fernen Baum stammen mußte. Teroro lenkte das Kanu darauf zu. Als sie das Treibholz an Bord zogen, zeigte sich, daß vier Landwürmer daran hingen, die den erstaunten Hühnern vorgeworfen wurden.
»Das Holz muß weniger als zehn Tage im Wasser gewesen sein«, verkündete Teura. Da das Kanu fünf oder sechsmal schneller reiste als ein dahintreibender Ast, schien das Land in der Nähe zu liegen; und so begann die alte Teura in äußerster
Konzentration die Zeichen zu sammeln und sie hoffnungsvoll nach den alten Gebeten
Weitere Kostenlose Bücher