Hawaii
ihnen beim Essen zusehen oder Essen berühren, das für Männer bestimmt war. Sie durfte bei Todesstrafe nicht jene guten Nahrungsmittel genießen, die nötig waren, um den Männern Kraft zu verleihen: keine Schweine, keinen süßen Fisch, keine Kokosnüsse. »Und da die Banane von den Göttern offensichtlich geschaffen worden war, um die Fruchtbarkeit des Mannes darzustellen«, rief Tupuna, »dürfen Frauen Bananen nicht einmal berühren, oder sie werden sogleich erdrosselt!«
Die Tage des Mondes, die Wende der Jahreszeiten und die jungen Saaten wurden unter Tabu gestellt, auch das Lachen in unpassenden Augenblicken, gewisse Geschlechtssitten, der Genuß bestimmter Fische, die Verspottung der Götter oder der Häuptlinge. Tabu war der Tempel, tabu waren die Felsengötter, tabu war das Haar der Pele, tabu war der wachsende Kokosnußbaum. Zu manchen Jahreszeiten war sogar der Ozean tabu. In dieser Weise und unter der Zustimmung des Volkes, das in einer festen Ordnung leben wollte, wurden die Tabus verkündet und jene Regeln aufgestellt, nach denen jeder seinen Stand in der Gemeinschaft erkennen konnte, um sich nie darüber zu erheben. Was bisher eine freie, vulkanische, leicht entzündbare Insel gewesen war, wurde jetzt ein festgefügter Staat, und alle waren froh darüber, denn aus dem Unbekannten war etwas Bekanntes geworden.
Man kann nicht sagen, daß alle zufrieden gewesen wären. Einer zumindest war es nicht. Teroro war als Bruder des Königs folgerichtig der Mann, der nach dem Tod des alten Tupuna Priester werden sollte. Er hatte große Heiligkeit ererbt und hatte sich zu einem klugen Mann entwickelt. Es gab keinen größeren Astronomen als ihn, und alles war sich darüber einig, daß er einmal der Hüter der Tabus sein würde.
Aber er war weit von jener Hingabe entfernt, die dieser strenge Beruf erforderte. Im Gegensatz zu dem Gleichmut, der den König auszeichnete, wurde Teroro von Ängsten und Ungewißheiten heimgesucht, und sie bezogen sich auf Frauen. Tag um Tag, wenn er durch den Wald wanderte, stieß er auf Pele mit dem wirren, schimmernden Haar und den tiefliegenden Augen. Sie sagte nichts; aber sie ging an seiner Seite wie die Frau neben dem Mann, den sie liebt. Oft brach nach ihrem Erscheinen der Vulkan aus, wenn auch die Lava jedesmal auf der anderen Seite des Berges hinabfloß und die neue Siedlung nicht gefährdete, wo Schweine und Hühner herumsprangen und Hunde mit saftigem Fleisch. Auch hatten Tamatoa und Natabu ihre Sache gut gemacht und einen Sohn hervorgebracht.
Nur Teroro gedieh nicht. Oft, wenn er sich um die Biegung eines wohlbekannten Pfades wandte, stand die schweigende Pele da, schmerzlich und vorwurfsvoll und doch voll ausgesprochener Liebe für ihren geplagten jungen Häuptling. Immer stand Pele im Hintergrund seiner Gedanken. Aber die eigentliche Qual bereitete ihm nicht die schattenhafte Göttin, sondern eine wirkliche Frau: Malama, sein Weib, das er in Bora
Bora zurückgelassen hatte. Er dachte: Wie weise war es von ihr, so zu sprechen, wie sie es am letzten Tag getan hatte! Ihre Stimme klang ihm noch so deutlich im Ohr wie damals vor einem Jahr: »Ich bin das Kanu!« Malama mußte ein göttergleiches Wissen haben, sonst hätte sie solche Worte nicht finden können. Denn sie war wirklich das Kanu. Ihr freundliches Gesicht und ihre sanfte Weisheit waren der Faden, an dem sein Leben hing. Im Sturm und auf allen Wogen war sie das Kanu gewesen. Und hier auf dem fernen Havaiki begann Teroro zum erstenmal zu verstehen, wie verzweifelt sich ein Mann nach einer starken, gütigen, klugen Frau sehnen konnte, die er früher einmal gekannt hatte. Sie war das Symbol der Erde, die Bewegung der Wellen, das Lied der Nacht. Sie hatte jene Fülle, die in Erinnerung blieb, an ihre Worte dachte man zurück. Er sah die Bewegung ihres Rockes vor sich und die Tracht ihres Haars. Einmal hatte sie ihm in Bora Bora sein Fieber ausgewaschen, und er spürte noch ihre kühlen Hände.
Mit Bestürzung erinnerte er sich daran, daß die junge Tehani auf dem Kanu das gleiche getan hatte. Aber es war anders. Er hatte mit der älteren Malama nicht ein Fünftel jener geschlechtlichen Reize genossen, die er bei Tehani fand. Und doch beunruhigte nur Malama sein Gemüt. Nachts, wenn er von seinen stillen Gängen mit Pa zurückkehrte, stand sie ihm vor Augen. In seinen Träumen sprach Malama zu ihm. Und jedesmal, wenn er WARTET-AUF-DEN-WESTWIND betrachtete, sah er Malama; denn sie hatte gesagt: »Ich bin das Kanu!«
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