Hawaii
uns zu erschrecken, sondern um uns zu warnen. Wir haben sie nicht verstanden.«
Seine Worte waren den Leuten im Kanu eine große Hoffnung; denn wenn die Göttin so viel für ihr irrendes Volk übrig hatte, daß sie es warnte, dann mußte sie dieses Volk noch lieben, und alles konnte nicht verloren sein. Das Haar der Pele wurde dem König als ein gutes Omen überreicht, und er legte es auf den Nacken der einzigen, übriggebliebenen Muttersau. Denn wenn dieses Tier nicht am Leben blieb und ihren Wurf zur Welt brachte, dann wäre das ein ebenso schlimmes Omen gewesen wie der Vulkan. Nur mit der halben Fracht, die sie auf diese Insel gebracht hatten, und mit einem trächtigen Schwein, das die Haare Peles schmückte, begannen die Reisenden ihre Suche nach einer neuen Heimat. Pa und Mato hatten klug gewählt, denn sie führten ihre Genossen um die Südspitze der Insel herum und die Westküste hinauf, bis sie gutes Land fanden, dessen Erde bebaut werden konnte und das von Wasserläufen durchzogen war. Und hier wurde die Siedlung von Havaiki in allem Ernst begonnen, mit neuen Feldern und einem neuen Tempel, der ohne Menschenopfer errichtet worden war. Als die Sau ihren Wurf zur Welt brachte, wachte der König selber über die Ferkel, und als das stärkste von ihnen so groß war, daß man es essen konnte - und bei dem Gedanken an gebratenes Schweinefleisch floß den Männern das Wasser im Munde zusammen -, trugen es der König und der alte Tupuna ehrfürchtig in den neuen Tempel und opferten es Tane. Von nun
an gedieh die neue Siedlung.
Als die Siedlung gegründet war, unternahm Tupuna Schritte, die ihr für alle Zeiten die charakteristischen Merkmale aufprägen sollten. Eines Tages sagte er zum König: »Ich werde Teura bald folgen, aber ehe ich über den Regenbogen schreite, sollten wir das Leben unseres Volkes schützen. Es ist nicht gut, wenn sich die Menschen so frei nach allen Seiten hin bewegen und ohne Beschränkungen leben.«
Teroro, der zugehört hatte, erwiderte: »Wir hatten auf dem Havaiki des roten Oro zu viele Beschränkungen. Hier sollten wir frei sein. Ich mag unser Leben so, wie es ist.«
»Vielleicht für einige Monate«, erwiderte der Priester. »Aber die Jahre verstreichen, und wenn eine Gemeinde nicht feste Gesetze und eine Ordnung hat, die jedem seinen festen Platz zuweist, so ist das Leben darin nicht gut.«
»Aber dies ist ein neues Land«, beharrte Teroro.
»Gerade in einem neuentdeckten Land sind die Sitten wichtig«, mahnte der Priester und der König unterstützte ihn. So wurden in diesem Gespräch die Tabus festgelegt.
»Jeder lebt zwischen einem Oberen, der ihm die göttliche Macht verleiht, und einem Unteren, der ihm Macht entzieht«, erklärte Tupuna, und seine Worte sollten nicht mehr vergessen werden. »Deshalb muß ein Mann den Oberen anflehen, ihm die Macht zu schicken, und muß sich vor dem Unteren schützen, der ihm die Macht stiehlt. Das ist der Grund, weshalb niemand zulassen darf, daß ein Sklave ihn berührt oder auf seinen Schatten tritt oder einen Blick auf sein Essen wirft; denn ein Sklave kann einem Manne in einem Augenblick die ganze Macht entziehen, weil ein Sklave selbst gar keine Macht hat. -Ein Mann erlangt dadurch göttliche Macht, daß er seinem König gehorcht; denn der König allein kann uns die Macht direkt von den Göttern bringen. Deshalb darf niemand den König oder seine Kleider oder seinen Schatten berühren, oder ihm auf irgendeine Weise seine Kraft entziehen. Dieses Tabu zu brechen bedeutet den Tod.« Tupuna zählte dann fünf Dutzend weitere Tabus auf, die den König in seiner Stellung zwischen den oberen Göttern und den niederen Menschen schützte: Sein Speichel durfte nicht berührt werden; seine Exkremente mußten bei Nacht an einem heimlichen Ort vergraben werden; sein Essen durfte nur von Häuptlingen zubereitet werden; sein Vorrat an göttlicher Macht mußte bewahrt werden; denn er war tabu, tabu.
Männer mit göttlicher Kraft mußten sich vor der Verunreinigung durch Frauen bewahren, denen göttliche Kraft meist versagt blieb. Da Männer aus Licht waren und Frauen aus Dunkelheit; da Männer sich preisgaben und stark waren, während die Frauen verschlagen und schwach waren; da Männer rein waren und Frauen befleckt; und da jede Nacht von neuem bewies, daß auch der stärkste Mann durch eine kluge Frau seiner Kraft beraubt werden konnte, so wurde die Frau mit furchtbaren Tabus belegt. Sie durfte bei Todesstrafe nicht mit den Männern essen, nicht
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