Hawkings Kosmos einfach erklaert
Und vielleicht konnten Informationen aus dem Vorläufer-Universum auch prinzipiell nicht zu uns gelangen. Denn in ihm könnte der Zeitpfeil umgekehrt sein.
Tatsächlich wurden die Kosmologen beim Lösen ihrer Gleichungen und bei den Näherungsrechnungen im Computer von einem Aspekt besonders überrascht: Die Zeitrichtung des Vorläufer-Universums ist der in unserem Universum entgegengesetzt. Jedenfalls, wenn man sie wie üblich als Zunahme der Entropie definiert. (Im vorigen Kapitel war vom thermodynamischen Zeitpfeil bereits ausführlich die Rede.) âDie thermodynamischen Pfeile zeigen vom Bounce in verschiedene Richtungenâ, sagte Hartle im Dezember 2007 auf der Konferenz The Very Early Universe in Cambridge und demonstrierte dies mit zwei dicken roten Pfeilen, die er in das Raumzeit-Modell des kontrahierenden und expandierenden Universums eingezeichnet hatte. âEreignisse der einen Seite haben kaum einen Effekt auf die Ereignisse der anderen.â
Dieser Gedanke ist neu. Hawking hatte ihn in dem Vortrag vom Juli 2007 sogar noch als mathematisches Artefakt interpretiert. Er kam auch in den früheren Bounce-Modellen und Vorläufer-Universum-Hypothesen nicht vor. Bei diesen weist der thermodynamische Zeitpfeil immer in dieselbe Richtung, auch durch den Urknall hindurch.
Brücke zu einem fremden Universum: Zwischen 2007 und 2011 entwickelte Hawking mit Hartle und Hertog ein neues kosmologisches Modell. Wie in seinen früheren Ansätzen kann auch hier die ominöse Singularität durch ein Instanton ersetzt werden. Doch möglicherweise existierte ein kollabierendes Universum vor dem Urknall. Er wäre dann ein Ãbergang (Bounce) zu diesem Vorgänger-Weltraum, in dem die Zeit kurioserweise die umgekehrte Richtung hat.
In ihren Veröffentlichungen schreiben Hawking, Hartle und Hertog, dass der Urknall mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einem Bounce entsprang (manche Historien münden auch in einer Singularität und werden als unrealistisch verworfen). Ob dabei zwei temporal gegenläufige Universen miteinander kollidierten oder das Vorläufer-Universum seine Zeitrichtung wechselte und zu unserem wurde, lässt sich schwer sagen. Vielleicht sprangen ja beide Universen auch aus der Zeitlosigkeit ins Dasein und entwickelten sich im strengen Wortsinn voneinander weg. Das neue Weltmodell wirft also noch viele fundamentale Fragen auf. Und die hängen wesentlich davon ab, was eigentlich die Zeit ist.
So seltsam die Möglichkeit temporal entgegengesetzter, aber durch einen Bounce verbundener Universen auch sein mag: Auf sie stieà vor kurzem in einem modifizierten Modell auch Don Page von der University of Alberta im kanadischen Edmonton. Und inzwischen haben noch weitere Forscher Hawkings neuen Ansatz aufgegriffen. Kazuya Fujio und Toshifumi Futamase von der Tohoku-Universität im japanischen Sendai erweiterten es zum Beispiel auf homogene anisotrope geschlossene Universen â also Räume, die nicht in allen Richtungen gleichmäÃig erscheinen. Auch in ihrem Modell muss eine Inflation stattgefunden haben. (Dass die entgegengesetzten Zeitpfeil-Universen zwar extravagant, aber nicht abwegig sind, zeigen auÃerdem Berechnungen von Martin Bojowald an der Pennsylvania State University â er fand nun ebenfalls solche Lösungen, arbeitete aber mit ganz anderen Voraussetzungen, nämlich einem Modell im Theorierahmen der Schleifen-Quantengravitation.)
⺠AuÃerirdische in einem früheren Universum
Fest steht: Die kosmische Rückwärtszeit versperrt den Blick ins Vorläufer-Universum. In einem der Artikel wird das Szenario â typisch Hawking â folgendermaÃen formuliert: âKönnten wir Informationen von auÃerirdischen Intelligenzen empfangen, die vor dem Bounce lebten, und die sie mittels Gravitationswellen, Neutrinos oder Kisten aus extrem haltbarer Materie geschickt haben?â (Eine solche besondere Materie wäre nötig, weil infolge der hohen Temperaturen im brachialen Urschwung keine Atomkerne existierten.) Eine Antwort geben die Forscher leider nicht.
Immerhin zeigen ihre Rechnungen, dass es im Bounce winzige Energieschwankungen gegeben haben müsste. Und dass diese Quantenfluktuationen in die entgegengesetzten Zeitrichtungen anwachsen würden. In unserem Universum wären sie durch die Kosmische Inflation extrem aufgeblasen worden und hätten die bis heute beobachtbaren
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