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Hawkings neues Universum

Hawkings neues Universum

Titel: Hawkings neues Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franckh-Kosmos-Verlags-GmbH und Co. <Stuttgart>
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Glas fällt vom Tisch und zerspringt in tausend Scherben.
    Wer sieht, wie sich aus Verrottetem ein roter Apfel formt, aus der Kaffeetasse Milchtropfen in die Höhe hüpfen und aus den Splittern am Boden ein Glas aufersteht, der fühlt sich wohl im falschen Film – oder betrachtet einfach einen solchen, weil der nämlich rückwärts läuft. Denn selbst die zyklischen Prozesse in der Natur wie der Lauf des Mondes oder die Jahreszeiten sind eingebettet in nicht umkehrbare Entwicklungen.
    Diese Irreversibilität ist der Grund, warum es viel unwahrscheinlicher und komplizierter ist, dass etwas entsteht und sich weiterentwickelt, als dass es in Schutt und Asche fällt oder von Heuschrecken aufgefressen wird.
    Das kann man physikalisch sogar quantifizieren: mit dem Konzept der Entropie. Sie ist ein Maß für die Unordnung eines Systems. Und Unordnung ist viel wahrscheinlicher als Ordnung – für einen kleinen Milchtropfen im Kaffee gibt es beispielsweise viel weniger Möglichkeiten der molekularen Kombinatorik als für eine gute Durchmischung. Deshalb, so der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (der Erste konstatiert die Erhaltung der Energie), kann die Entropie im Durchschnitt nur zunehmen.
    Die Entstehung lokaler Ordnung widerspricht dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht, sondern erfolgt auf Kosten einer höheren Unordnung im gesamten System. Die Entropie kann zwar global im Allgemeinen nicht abnehmen, wohl aber lokal. Die Ausbildung von komplexen Strukturen, also Ordnung, ist deswegen zwar möglich, aber eben nur, weil sie mit einer größeren Unordnung in der Umgebung einhergeht. Konkret: Wer seinen Schreibtisch aufräumt, muss mehr Kopfsalat essen, der wiederum seine Energie von den Kernverschmelzungsprozessen der Sonne bezieht – die lokale Ordnung wächst zwar, aber das Chaos im Sonnensystem ebenfalls.
    Stephen Hawking hat zur Illustration dieses Phänomens in seiner Kurzen Geschichte der Zeit folgende Überschlagsrechnung angestellt, die aufgrund des ähnlichen Umfangs auch für dieses Buch gilt: „Wenn Sie sich an jedes Wort in diesem Buch erinnern, sind in Ihrem Gedächtnis etwa zwei Millionen Informationseinheiten gespeichert. Die Ordnung in Ihrem Gehirn ist um zwei Millionen Einheiten angewachsen. Doch während Sie das Buch gelesen haben, sind mindestens tausend Kalorien geordneter Energie – in Form von Nahrung – in ungeordnete Energie umgewandelt worden – in Form von Wärme, die Sie durch Wärmeleitung und Schweiß an die Luft abgegeben haben. Dies wird die Unordnung des Universums um ungefähr zwanzig Millionen Millionen Millionen Millionen Einheiten erhöhen – also ungefähr um das Zehnmillionenmillionenmillionenfache der Ordnungszunahme in Ihrem Gehirn. Und das gilt nur für den Fall, dass sie sich an alles , was in diesem Buch steht, erinnern.“ (Hawking schlug deshalb im Scherz vor, der Leser möge sofort mit der Lektüre aufhören.)
    Der Zweite Hauptsatz markiert also eine Richtung der Zeit – oder der Entwicklungen in der Zeit, was nicht dasselbe sein muss. Doch er ist nicht die Lösung, sondern das Zentrum des Problems. Denn alle bekannten fundamentalen Naturgesetze sind, wie erwähnt, zeitsymmetrisch: Sie enthalten keine bevorzugte Zeitrichtung; sie unterscheiden nicht prinzipiell zwischen Zukunft und Vergangenheit. Physiker sprechen von Zeitumkehr-Invarianz. Das bedeutet: Jeder Prozess könnte auch umgekehrt ablaufen.
    Warum tut er es nicht?
    Man kann diese Frage als unsinnig zurückweisen, wenn man wie Hawking thermodynamisch argumentiert: „Die Unordnung wächst mit der Zeit, weil wir die Zeit in der Richtung messen, in der die Unordnung wächst.“ Doch das ist keine Lösung des Problems, wie auch Hawking zugibt: „Warum muss es die thermodynamische Zeitrichtung überhaupt geben?“ Die Entwicklungen könnten ja auch abwechselnd vorwärts und rückwärts gehen – oder überhaupt nicht stattfinden.
Zehn Zeitpfeile
    „Warum erinnern wir uns an die Vergangenheit, aber nicht an die Zukunft?“, brachte Stephen Hawking die Asymmetrie unserer Zeiterfahrung auf den Punkt. Für diese Unumkehrbarkeit, die Irreversibilität vieler Prozesse und somit die Zeitrichtung, hat der britische Physiker Arthur Stanley Eddington bereits 1927 den Begriff „Zeitpfeil“ („arrow of time“) geprägt.
    Heute werden mindestens zehn verschiedene Zeitpfeile – Klassen von zeitgerichteten Phänomenen – unterschieden:
Der psychologische Zeitpfeil: Wir erinnern uns, wie Hawking es zuspitzte, an die

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