Hawkings neues Universum
die Anfangsbedingungen der Wheeler-DeWitt-Gleichung gleichsam per Hand so zu wählen (manche sagen: gut zu raten) oder die Gleichung so zu erweitern, dass die Singularität verschwindet beziehungsweise die Bedingungen für a = 0 nicht unphysikalisch werden. Eine künftige Theorie der Quantengravitation sollte aber – und dafür gibt es bereits vielversprechende Ansätze, besonders von Martin Bojowald von der Pennsylvania State University – die Bedingungen durch grundlegendere Prinzipien begründen. Inwiefern die Keine-Grenzen-Vermutung dann auf ein tieferes Fundament gestellt werden kann oder sich in mathematischen Staub auflöst, lässt sich heute schwer abschätzen.
Viel Lärm um Nichts
„Die Hartle-Hawking-Hypothese entbehrte nicht einer gewissen mathematischen Eleganz, verlor jedoch nach meinem Empfinden durch den Wechsel in die imaginäre Zeit einen Großteil ihres intuitiven Reizes“, hat Alexander Vilenkin kritisiert. Tatsächlich ist die vielleicht größte Schwierigkeit des Hawking-Hartle-Modells die physikalische Interpretation der mathematischen imaginären Zeit und der Übergang von ihr zur realen Zeit. Physiker sprechen von der Euklidischen Metrik des halbkugelförmigen Instantons, das gleichsam mathematisch nahtlos an die Lorentz-Metrik des für das expandierende Universum stehenden Trichters angefügt wird – das lässt sich auf dem Papier schön zusammenbringen, aber was bedeutet die Beschreibung für die Realität? Wie entsprang die Zeit aus der Zeitlosigkeit?
Alexander Vilenkins Modell geht von einer anderen Randbedingung aus als Hawking und Hartle mit ihrer Keine-Grenzen-Hypothese und benötigte die imaginäre Zeit nicht. Ihm zufolge tauchte das Universum „plötzlich aus dem Nirgendwo auf und begann sich sofort inflationär auszudehnen. Der Radius des neugeborenen Universums wird von seiner Vakuum-Energiedichte bestimmt. Je höher sie ist, desto kleiner der Radius.“ Das steht in einem spannenden Kontrast zu Hawkings Modell. „Der Tunneleffekt-Vorschlag favorisiert eine Entstehung aus der höchsten Vakuumenergie und dem kleinsten Universum. Im Gegensatz dazu hält der No-Boundary-Vorschlag ein Universum für am wahrscheinlichsten, das die geringstmögliche Vakuumenergie und die maximal denkbare Größe besitzt“, sagt Vilenkin. „Das wahrscheinlichste Produkt der spontanen Entstehung aus dem Nichts wäre demnach ein unendlicher, leerer und flacher Raum. Es fällt mir schwer, das zu glauben!“ Umgekehrt fällt es Hawking und Hartle schwer, die Ewige Inflation zu akzeptieren, die Vilenkins Ansatz nahe legt. Die Kontroverse ist nach wie vor offen, und es gibt bereits Uneinigkeiten auf der Ebene der mathematischen Formulierung (ob an einer entscheidenden Stelle ein Plus- oder Minus-Zeichen stehen muss).
Unabhängig vom konkreten Modell ist auch unklar, was ein „Anfang der Zeit“ eigentlich bedeuten soll. Zu fragen, was vor dem Urknall war, wäre zwar sinnlos. Doch das ist schwierig zu verstehen. Denn die Zeit begann nicht mit dem Zeitpunkt 0, ähnlich wie ein Konzert beginnt – es „gab“ ja kein Vorher und somit auch keinen Vorgang des Beginnens. Bestimmte Fragen kann man gewissermaßen gar nicht mehr stellen. Der Philosoph Adolf Grünbaum von der University of Pittsburgh verglich das mit der Frage „Wann hast du deine Frau zu schlagen begonnen?“, wenn der Befragte sie niemals geschlagen hat.
Und ob es ein erstes Ereignis gegeben hat, ist ebenfalls unklar. Der Kosmologe Paul Davies beispielsweise verneint dies: Das sei so, als wenn man fragte, welche die erste auf null folgende Zahl sei (nicht 1, nicht 0,1, nicht 0,01 ...) – denn jede Zeitspanne lasse sich halbieren. Ist andererseits die Zeit wie die Materie gequantelt, gibt es eine kleinste Zeit-Einheit, die Planck-Zeit (10 -43 Sekunden). Dann wäre ein erster Moment vorstellbar. Die Frage, was davor kam, wäre jedoch unsinnig – genauso wie die Frage nach der Mutter eines Vereins, obwohl jedes Mitglied dieses Vereins eine Mutter hat. Doch wie oder warum es zum Urknall beziehungsweise zum ersten Moment kam, würde man doch wissen wollen – und in der Analogie mit dem Verein ist eine solche Frage ja auch beantwortbar. Doch wenn das Universum keine Ursache hat, zielt auch die Warum-Frage letztlich ins Leere.
Tatsächlich schmettert Alexander Vilenkin die Frage nach der Kausalität einer Entstehung aus dem Nichts ab: „Es ist ein Quantenprozess und erfordert keine Ursache.“ Ebenso die Frage, was vorher war: „Vor dem
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