Hawkings neues Universum
„Geist Gottes“ sprechen. Gäbe es einen „Plan“, würde das bedeuten, dass eine Absicht dahinter steckt und somit jemand, der diese Absicht hat. „Geist“ ist dagegen ein dehnbarer Begriff und kann sogar ganz abstrakt eine rationale – oder rational beschreibbare – Struktur meinen, was auch für die Naturgesetze gelten mag.
Und so hatte Hawking hier den Begriff „Gott“ auch verwendet, wie er später in einem Interview sagte – nicht in der Bedeutung eines personalen Schöpfers, sondern „in einem unpersönlichen Sinn, so wie es Einstein für die Naturgesetze tat“.
Eine andere Art von Gott hat in Hawkings Weltbild keinen Platz. Das heißt freilich nicht, dass er per se religionsfeindlich ist, auch wenn sein Atheismus mit ein Grund gewesen sein mag, dass seine Ehe mit der gläubigen Jane Hawking zerbrach. Im Gegenteil, Hawking hatte im Kalten Krieg in seinem Rollstuhl angeblich Bibeln nach Russland geschmuggelt, um dort Baptisten zu unterstützen. Und er half der jüdisch-orthodoxen L’Chaim-Gesellschaft, sich in Cambridge zu etablieren, auch wenn er den religiösen Lehren sehr reserviert gegenübersteht. „Es ist gut möglich, dass Gott auf eine Weise handelt, die nicht mit wissenschaftlichen Gesetzen beschrieben werden kann“, räumt er ein. „Aber in diesem Fall bleibt nur persönlicher Glauben übrig.“ Doch das ist wohl einfach bloß Wunschdenken. Für die Annahme eines fürsorglichen Schöpfers sieht Hawking jedenfalls keinen Grund: „Wir sind so unbedeutende Kreaturen auf einem kleinen Planeten eines sehr durchschnittlichen Sterns in den Außenbezirken von einer Galaxie unter 100 Milliarden anderen im beobachtbaren All. Daher ist es schwer, an einen Gott zu glauben, der sich um uns kümmert oder auch nur unsere Existenz bemerkt.“
Auf die Veröffentlichung von Der Große Entwurf reagierten die Medien 2010 hauptsächlich mit den Headlines, Hawking bräuchte Gott nicht mehr für eine Erklärung des Universums. Dies ist so richtig wie alt – denn Ähnliches hatte er ja schon mehr als zwei Jahrzehnte zuvor deutlich zum Ausdruck gebracht. Weder implizieren die lebensfreundlichen Werte der Naturkonstanten einen kosmischen Bauplan und einen jenseitigen Architekten noch erfordert die Entstehung und Entwicklung der Welt einen Schöpfer. Nur die „Unkenntnis der Naturgesetze veranlasste die Menschen früherer Zeiten, Götter zu erfinden, die in jeden Aspekt des menschlichen Lebens hineinregierten“. Das waren einfach Irrtümer und Projektionen.
Im Mittelalter herrschte die Auffassung, „dass das Universum Gottes Puppenstube und die Religion ein weit lohnenderes Studienobjekt sei als die Naturerscheinungen“, karikieren es Hawking und Mlodinow. Der Streit mit den sich allmählich entwickelnden Naturwissenschaften war unausweichlich, es stellten sich auch Machtfragen. So trug der Pariser Bischof Étienne Tempier 1277 auf Weisung des Papstes Johannes XXI. eine Liste von 219 Häresien zusammen. Zu diesen zählte die Ansicht, dass die Natur Gesetzen folge, denn dies sei nicht mit Gottes Allmacht vereinbar. „Interessanterweise wurde Papst Johannes einige Monate später von den Auswirkungen des Gravitationsgesetzes getötet, als ihm das Dach seines Palastes auf den Kopf fiel“, kommentieren Hawking und Mlodinow lakonisch.
Den Ursprung des Universums wollen Hawking und Mlodinow nicht länger dem Alleinerklärungsanspruch der Theisten überlassen. Zumal ein Rückgriff auf einen Schöpfer die Probleme nur verschiebt. Doch es ist möglich, „diese Fragen ausschließlich in den Grenzen der Naturwissenschaft und ohne Rekurs auf göttliche Wesen zu beantworten“. Hawkings quantenkosmologisches Modell ist ein Beispiel dafür. Es eliminiert die Erklärungslücke der Urknall-Singularität, die manche Theologen mit Gott als eine Art Lückenbüßer zu füllen versuchten. Freilich ist Gott im Verständnis der meisten Gläubigen und Theologen nicht auf einen „Designer“ reduzierbar, der die Naturgesetze erlässt, die physikalischen Konstanten einstellt oder den Urknall zündet. Und Hawking kann die Existenz Gottes auch nicht vollkommen ausschließen. Das ist aus rein erkenntnislogischen Gründen unmöglich, denn eine transzendente Nichtexistenz lässt sich prinzipiell nicht beweisen – daher haben ja auch alle, die das Dasein und Wirken Gottes behaupten, die Nachweispflicht. Wenn sich die Entstehung der Welt aber aus sich selbst heraus erklären lässt, dann ist die Annahme eines Schöpfers
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