Hawkings neues Universum
Quantenvakuum, sondern er würde gleichsam die Welt ständig neu schaffen („creatio continua“) beziehungsweise in ihrer Existenz bewahren. Etwa so, als hielte er sie in einer imaginären Hand, weil sie sonst ins Nichts fiele. Dieser Welterhalt könnte zum Beispiel dadurch erfolgen, dass die Naturgesetze gültig bleiben oder dass die materielle Realität in Wirklichkeit nur ein Gedanke (oder Traum?) eines (Gottes?) Bewusstseins ist.
Ein solcher Glaube – oder frommer Wunsch – kann physikalisch nicht widerlegt, aber sehr wohl philosophisch kritisiert werden. Und eigentlich tut Hawking genau das, indem er argumentiert, dass Gott in der modernen Kosmologie nicht mehr denknotwendig ist. Das sahen viele Physiker, darunter Isaac Newton, früher durchaus anders. Und noch immer interpretieren manche Kosmologen (etwa Frank Tipler von der Tulane University in New Orleans) und theologisch orientierte Philosophen (beispielsweise William Lane Craig von der Talbot School of Theology im kalifornischen La Mirada) die Urknall-Singularität als eine Erklärungslücke, die gleichsam durch Gott gestopft werden muss. Ein solcher „Lückenbüßer-Gott“ hat zwar selbst bei den meisten Theologen längst abgedankt. Aber wer ihn als Schöpfer und Erhalter der Welt begreift, kann diese letztlich nicht radikal autonom denken. Doch genau das tut Stephen Hawking.
Wenn die physikalische Beschreibung des Universums an einer Singularität enden würde, „könnte die Wissenschaft die Aussage machen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss, sie könnte aber nicht vorhersagen, wie dieser Anfang ausgesehen hätte. Dazu müsste man den lieben Gott herbeibemühen“, schreibt Hawking. „In imaginärer Zeit gäbe es keine Singularität, an der die wissenschaftlichen Gesetze ihre Gültigkeit verlören, das Universum hätte keinen Rand, an dem man sich auf Gott berufen müsste. Das Universum würde weder erschaffen noch zerstört. Es wäre einfach da.“ Weil die leidige Urknall-Singularität mit dem Keine-Grenzen-Vorschlag von Hawking – und ebenso mit dem Quantentunnel-Modell von Alexander Vilenkin – vermieden wird, ist die Frage, wie es zum Urknall kam, zu einem Gegenstand der physikalischen Kosmologie geworden. „Das Universum gibt es, weil die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie seine Existenz ermöglichen und erfordern“, sagt Hawking. „Wenn ich Recht habe, ist das Universum in sich selbst gegründet und wird von den Naturgesetzen allein regiert.“
In einem Interview im israelischen Fernsehen zu seinem 65. Geburtstag 2007 bekräftigte Hawking diese These: „Ich denke, dass das Universum spontan aus dem Nichts entstand gemäß den Gesetzen der Physik.“ In gewisser Weise habe es weder Anfang noch Ende. „Die Grundannahme der Wissenschaft ist der wissenschaftliche Determinismus: Die Naturgesetze bestimmen die Entwicklung des Universums, wenn sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist. Diese Gesetze können von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen und die Gesetze brechen, sonst wären es keine Gesetze. Gott bliebe allenfalls die Freiheit, den Anfangszustand des Universums auszuwählen. Aber selbst hier könnten Gesetze herrschen. Dann hätte Gott überhaupt keine Freiheit.“
Das gilt analog auch für Alex Vilenkins ex-nihilo-Modell. „Ursprünglich meinte ich sogar, die Theologen könnten das Szenario mögen, denn es geht ja um die Schöpfung aus dem Nichts“, schmunzelt Vilenkin, der nicht an einen Schöpfer glaubt. „Aber ich denke nicht, dass sie das tun, denn der Quantentunnel-Effekt ist entmystifizierend.“
Im Gegensatz dazu wirkt eine Bemerkung von Stephen Hawking am Ende von Eine kurze Geschichte der Zeit , die er beinahe gestrichen hätte („dann wären vielleicht nur halb so viele Exemplare verkauft worden“), geradezu mystifizierend: „Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden“, schrieb er und meinte die Frage, warum es das Universum gibt, „wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen.“ Hatte Hawking damit nur einen publikumswirksamen Effekt im Sinn oder wollte er gleichsam doch ein Hintertürchen für Gott offen halten?
Zunächst muss man festhalten, dass die offizielle deutsche Übersetzung des Satzes „If we find the answer to that, it would be the ultimate triumph of human reason – for then we should know the mind of God“ problematisch ist; man sollte besser vom
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