Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hawks, John Twelve - Dark River

Hawks, John Twelve - Dark River

Titel: Hawks, John Twelve - Dark River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Duell der Traveler
Vom Netzwerk:
Tasche.
    Es war zu kalt, um im Freien zu schlafen, aber in der U-Bahn hingen überall Kameras. Während Gabriel die Tottenham Court Road entlangschlenderte, vorbei an den hell erleuchteten Schaufenstern der Fernseher- und Computergeschäfte, fielen ihm Mayas Worte über einen Platz namens West Smithfield wieder ein, auf dem die Machthabenden früher Ketzer, Aufständische und Harlequins hingerichtet hatten. Sie hatte den Ort in der Sprache ihres Vaters Blutacker genannt. Das Wort bezeichnete ursprünglich einen Friedhof vor den Toren Jerusalems, der von Judas’ Verräterlohn gekauft worden war; erst viel später erhielt es seine allgemeinere Bedeutung. Inzwischen konnte man jeden verfluchten Ort einen Blutacker nennen. Falls der Platz für die Harlequins wirklich eine Rolle spielte, gab es in seiner Nähe vielleicht eine Art Briefkasten oder irgendeinen Hinweis, wo Gabriel Hilfe finden würde.
    Er machte sich auf den Weg nach East London und fragte die Entgegenkommenden nach dem Weg. Alle schienen entweder betrunken zu sein oder sich verirrt zu haben. Ein Mann, der kaum noch gerade gehen konnte, fing plötzlich an, mit den Armen herumzufuchteln, so als müsste er Fliegen totschlagen. Schließlich erreichte Gabriel die Giltspur Street, lief am Krankenhaus St. Bartholomew vorbei und entdeckte zwei nur wenige Meter voneinander entfernt liegende Gedenkstätten. Eine Plakette erinnerte an den schottischen Rebellen William Wallace, eine andere war nur wenige Schritte neben der Stelle angebracht, an der die Krone Katholiken auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte. Der Blutacker , dachte Gabriel. Aber nirgendwo waren Harlequinzeichen zu entdecken.
    Gabriel kehrte den Plaketten den Rücken zu und näherte sich St. Bartholomew the Great, einer kleinen normannischen Kirche. Die angeschlagenen Steine der Kirchenmauern waren im Lauf der Jahre nachgedunkelt, der Ziegelsteinpfad mit Schlamm verschmiert. Gabriel ging unter einem Torbogen hindurch und fand sich auf einem Friedhof wieder. Vor ihm befand sich eine schwere Holztür mit Eisenbeschlägen, die ins Kircheninnere führte. In die untere Ecke der Tür hatte jemand etwas gekritzelt, und als Gabriel näher trat, entdeckte er vier mit einem schwarzen Filzstift geschriebene Wörter: HOPE – HOFFE AUF EINEN TRAVELER.
    War die Kirche ein Unterschlupf? Gabriel klopfte an die Tür und hämmerte dann mit der Faust dagegen, aber niemand antwortete. Vielleicht hofften die Leute tatsächlich auf einen Traveler, aber ihm war kalt, er war müde und brauchte Hilfe. Er verspürte ein unbändiges Verlangen, aus seinem Körper auszubrechen und diese Welt für immer zu verlassen. Michael hatte Recht gehabt. Der Kampf war vorbei, und die Tabula hatten gesiegt.
    Dann fiel ihm ein, wie Maya ihre Nachrichten in den toten Briefkästen in New York hinterlassen hatte. Ihre Zeichen sahen aus wie gewöhnliche Graffiti, aber in jedem Buchstaben und jedem Schnörkel steckte eine Information. Er kniete sich vor die Kirchentür und sah, dass das Wort »Hope« unterstrichen war. Vielleicht war es ein Zufall, aber der schwarze Strich hatte am einen Ende einen kleinen Haken. Er sah beinahe so aus wie ein Pfeil.
    Gabriel durchquerte den Torweg ein zweites Mal und entdeckte, dass der Pfeil – wenn er überhaupt einer war – Richtung Smithfield Market zeigte. Ein dicker Mann mit weißer Fleischerschürze und einer Plastiktüte voller Bierdosen ging an ihm vorbei. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Gabriel, »gibt es hier einen Ort oder ein Gebäude, das Hope heißt?«
    Weder lachte der Fleischer, noch bezeichnete er Gabriel als Idioten. Er nickte in Richtung des Marktplatzes. »Einfach die Straße rauf, Kumpel. Ist nicht weit von hier.«
    Gabriel überquerte die Long Lane und näherte sich dem Fleischmarkt von Smithfield. Mehrere hundert Jahre lang hatte dieses Viertel zu den gefährlichsten von London gezählt. Bettler, Huren und Taschendiebe hatten sich in die aufgeregte Menschenmenge gemischt, wenn die Rinderherden durch die engen Gassen zum Schlachthof getrieben wurden. Das warme Blut floss durch die Gosse, und im Winter dampfte es weiß. Über dem Schlachtplatz kreisten scharenweise Raben, die sich herunterstürzten und um die Fleischreste balgten.
    Jene Zeiten waren längst vorbei, und inzwischen säumten Restaurants und Buchläden den Platz. Abends jedoch, wenn alle nach Hause gegangen waren, kehrte der alte Geist von Smithfield zurück. Der Ort war düster und voller Schatten, es war ein Ort des

Weitere Kostenlose Bücher