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Hawks, John Twelve - Dark River

Hawks, John Twelve - Dark River

Titel: Hawks, John Twelve - Dark River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Duell der Traveler
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wurden schick gekleidete Leute gezeigt, die es sich in breiten Sitzen bequem machten und sich angeregt mit anderen gut aussehenden Passagieren unterhielten. Doch das tatsächliche Erlebnis erinnerte Gabriel eher an den Sommer, den er und Michael als Aushilfen auf einer texanischen Rinderfarm in der Nähe von Dallas verbracht hatten. Die Rinder trugen ans Ohr getackerte Plaketten mit Strichcode, und die meiste Zeit verbrachten die Arbeiter damit, die schlachtreifen Mastochsen auszuwählen, zu untersuchen, zu wiegen, einzupferchen, über enge Rampen zu treiben und in Lastwagen zu sperren.
    Elf Stunden später stand er am Flughafen Heathrow in der Warteschlange vor der Passkontrolle. Als er an die Reihe kam, stellte er sich vor den Zollbeamten, einen Sikh mit Vollbart. Der Beamte nahm Gabriels Reisepass und musterte ihn für einen Moment.
    »Waren Sie schon einmal in Großbritannien?«
    Gabriel bemühte sich, entspannt zu lächeln. »Nein. Ich bin zum ersten Mal hier.«
    Der Beamte legte den Pass auf den Scanner und betrachtete einen Bildschirm. Die biometrischen Informationen auf dem RFID-Chip passten zum Foto und den übrigen Daten, die das Computersystem gespeichert hatte. Wie die meisten Bürger, die mit langweiligen Tätigkeiten beschäftigt waren, vertraute auch der Beamte dem Computer mehr als seinem Instinkt. »Willkommen in Großbritannien«, sagte er, und plötzlich befand sich Gabriel in einem fremden Land.
    Es war schon fast dreiundzwanzig Uhr, als er sein Geld umgetauscht, das Terminal verlassen und die U-Bahn in die Stadt genommen hatte. Am King’s Cross stieg er aus und lief durch die Gegend, bis er ein Hotel gefunden hatte. Das Einzelzimmer war nicht größer als eine Abstellkammer, und an den Innenseiten der Fensterscheiben klebten Eiskristalle. Gabriel behielt seine Kleider an, wickelte sich in die dünne Überdecke ein und versuchte zu schlafen.
    Ein paar Monate bevor er Los Angeles verlassen hatte, war Gabriel siebenundzwanzig Jahre alt geworden. Er hatte seinen Vater seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Am deutlichsten konnte er sich die Zeit ins Gedächtnis rufen, als er und seine Familie ohne Strom und Telefon auf einer Farm in South Dakota gelebt hatten. Er konnte sich immer noch daran erinnern, wie sein Vater ihm beigebracht hatte, das Öl des alten Pickups zu wechseln, und an den Abend, an dem seine Eltern im Wohnzimmer vor dem Kamin getanzt hatten. Er erinnerte sich daran, wie er abends oft, anstatt im Bett zu liegen, nach unten geschlichen war, durch den Flur gespäht und seinen Vater allein am Küchentisch hatte sitzen sehen. In solchen Momenten hatte Matthew Corrigan nachdenklich und traurig gewirkt, so als habe man ihm eine enorme Bürde auferlegt.
    Aber am besten konnte Gabriel sich an einen Tag erinnern, an dem er zwölf und Michael sechzehn Jahre alt gewesen war. Während eines schweren Schneesturms hatten Söldner der Tabula ihr Haus überfallen. Die Jungen hatten sich mit ihrer Mutter in einem Kellerloch versteckt, und draußen heulte der Wind. Am nächsten Morgen entdeckten die Brüder vier Leichen im Schnee. Ihr Vater aber war fort, aus ihrem Leben verschwunden. Gabriel glaubte, jemand hätte ihm in die Brust gegriffen und ein Körperteil herausgerissen. Er spürte eine Leere, eine Lücke, die sich nie wieder richtig geschlossen hatte.
     
    Nachdem er aufgestanden war, ließ Gabriel sich von einem Hotelangestellten den Weg erklären und ging nach Süden in Richtung Hyde Park. In dieser fremden Stadt fühlte er sich unsicher und deplatziert. An den Kreuzungen hatte man LOOK LEFT und LOOK RIGHT auf die Straße gemalt, so als liefen alle Ausländer in London Gefahr, von schwarzen Taxis oder weißen Lieferwagen überfahren zu werden. Gabriel versuchte, einer geraden Linie zu folgen, aber er verirrte sich immer wieder in kleine Straßen mit Kopfsteinpflaster, die in merkwürdigen Winkeln zueinander verliefen. In Amerika trug man Dollarscheine im Portemonnaie, aber hier waren seine Taschen schwer von Münzen.
    Damals in Los Angeles hatte Maya ihm erzählt, welchen Blick auf London ihr Vater ihr vermittelt hatte. Angeblich gab es in der Goswell Road eine Stelle, an der man Tausende von Pestopfern in Gruben geworfen und verscharrt hatte. Vielleicht waren vereinzelte Knochen übrig geblieben, ein paar Münzen, ein Metallkreuz, das einmal am Hals einer Toten gehangen hatte, aber inzwischen gab es über der Grabstätte einen Parkplatz mit Werbetafeln. Ähnliche Orte waren über die ganze

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