Hawks, John Twelve - Dark River
Kombüse ein, und eines Abends konnte Vicki ihre Neugier nicht länger im Zaum halten.
»Was transportieren Sie eigentlich?«, fragte sie Kapitän Vandergau. »Irgendwas Gefährliches?«
Vandergau war ein riesiger, schweigsamer Mann mit blondem Bart. Er ließ die Gabel sinken und lächelte freundlich. »Ah, die Fracht«, sagte er und dachte über die Frage nach, als wäre sie ihm nie zuvor gestellt worden.
Der Bootsmann, jünger und mit gewichstem Schnurrbart, saß am anderen Ende der Tafel. »Kohl«, schlug er vor.
»Ja, genau. Das ist korrekt«, sagte Kapitän Vandergau. »Wir transportieren Grünkohl, Rotkohl und Sauerkraut in Dosen. Die Prince William of Orange versorgt eine hungrige Welt mit Kohl.«
Die Überfahrt während der ersten Frühlingstage bedeutete raue Windböen und Nieselregen. Die Außenhaut des Schiffs war in einem dunklen Blaugrau gestrichen und hatte fast dieselbe Farbe wie der Himmel. Die See war dunkelgrün, und die Wellen klatschten gegen den Bug wie bei einem endlosen Schlagabtausch. In dieser tristen Umgebung merkte Maya, dass sie viel zu oft an Gabriel denken musste. Linden war bereits in London, um nach dem Traveler zu suchen, und sie konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Nach mehreren schlaflosen Nächten fand Maya an Deck zwei rostige, mit Beton ausgegossene Farbdosen. Sie nahm ein Gewicht in jede Hand und absolvierte eine Reihe von Übungen, bis ihre Muskeln brannten und ihre Haut schweißnass war.
Vicki verbrachte die meiste Zeit in der Kombüse, wo sie Tee trank und Tagebuch schrieb. Gelegentlich huschte ein Ausdruck größter Freude über ihr Gesicht, und dann wusste Maya, dass Vicki an Hollis dachte. Maya wollte schon den Vortrag ihres Vaters zum Thema Liebe wiederholen, und dass sie einen schwächte, aber Vicki würde ihr kein Wort glauben. Die Liebe schien aus Vicki einen stärkeren, selbstbewussteren Menschen gemacht zu haben.
Sobald Alice begriffen hatte, dass sie in Sicherheit waren, verbrachte sie viel Zeit damit, über das Schiff zu streifen – stumm erschien sie auf der Brücke oder im Maschinenraum. Die meisten Crewmitglieder hatten Familie, und sie behandelten Alice mit größter Liebenswürdigkeit, bastelten ihr Spielzeug und kochten ihr spezielle Gerichte.
Am achten Tag passierte das Schiff bei Sonnenaufgang die Hochwassersperre der Themse und begann die langsame Fahrt flussaufwärts. Maya stand in der Nähe des Bugs und starrte zu den schimmernden Straßenlaternen der fernen Städte hinüber. Sie war nicht zuhause – sie hatte kein Zuhause –, aber sie war endlich wieder in England.
Der Wind blies immer stärker und rüttelte an den Drahtseilen der Rettungsboote. Kreischende Möwen zogen über den aufgebrachten Wellen ihre Kreise, während Kapitän Vandergau mit dem Satellitentelefon in der Hand auf dem Deck hin und her lief. Anscheinend war es besonders wichtig, dass er seine Fracht an einem bestimmten Dock in East London ablieferte, solange ein bestimmter Zollinspektor namens Charlie im Dienst war. Vandergau fluchte auf Englisch, Holländisch und in einer dritten Sprache, die Maya nicht verstand, aber offensichtlich war Charlie über keinen seiner Telefonanschlüsse zu erreichen.
»Unser Problem ist nicht die Korruption«, erklärte der Kapitän Maya. »Unser Problem ist die faule, ineffektive britische Korruption.« Schließlich erreichte er Charlies Freundin, von der er sich die benötigten Informationen geben ließ. »Vierzehnhundert Uhr. Ja, ich verstehe.«
Vandergau brüllte ein Kommando in den Maschinenraum, und die beiden Schiffsschrauben begannen zu rotieren. Als Maya unter Deck ging, konnte sie das leichte Vibrieren der Stahlwände spüren. Ein unablässiges, dumpfes Pochen war zu hören, so als schlüge irgendwo im Schiff ein gigantisches Herz.
Gegen ein Uhr mittags klopfte der Bootsmann an ihre Kabinentür. Er wies sie an, ihre Sachen zu packen und sich zur Besprechung in der Kombüse einzufinden. Maya, Vicki und Alice saßen an dem schmalen Tisch und lauschten dem Klirren von Gläsern und Geschirr in den hölzernen Halterungen. Das Schiff wendete mitten auf dem Fluss, um zu einem Dock zu manövrieren.
»Und was passiert jetzt?«, fragte Vicki.
»Sobald sie die Inspektion hinter sich gebracht haben, gehen wir an Land und treffen Linden.«
»Aber was ist mit den Überwachungskameras? Müssen wir uns nicht verkleiden?«
»Ich habe keine Ahnung, was geschehen wird, Vicki. Normalerweise hat man nur zwei Möglichkeiten, wenn man
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