Hazienda der Traeume - Julia Saisonband Bd 66
und lehnte sich vor. „Bekomme ich Indianer zu sehen, wenn ich in Texas bin?“
Julie tat so, als müsse sie darüber nachdenken. „Eher nicht. Cowboys und Indianer leben weiter westlich, beispielsweise in Montana, New Mexiko, Idaho und Wyoming. Wenn du möchtest, können wir das morgen nachlesen.“
„Haben Sie schon mal Indianer gesehen?“
„Ellbogen vom Tisch, Kico!“, sagte Rafael, bevor Julie antworten konnte. „Und sitz gefälligst gerade.“ Unwillig musterte er den Jungen und Julie. „Bei uns wird während der Mahlzeiten nicht geredet“, erklärte er.
„Ach?“ Sie zog eine Augenbraue hoch und überging den Tadel geflissentlich, als sie sich wieder Kico zuwandte. „Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es bei uns während der Mahlzeiten immer hoch herging, weil jeder etwas zu sagen hatte. Wir haben uns über die Schule unterhalten und über Bücher, die wir gerade gelesen hatten und über alles, was wir am Tag so erlebt hatten.“
Sie sah auf, als ein Dienstmädchen mit einer Suppenterrine zumTisch kam, und erzählte dem Jungen dann von ihren Geschwistern und den beiden Hunden, die zur Familie gehörten. „Sie sahen lustig aus mit ihrem dichten, lockigen Fell. Ich habe sie Ike und Mike getauft, weil sie sich so ähnlich sahen.“
Du liebe Zeit! Diese Frau erzählte ja wie ein Wasserfall. Es war ihr völlig gleichgültig, dass hier bei Tisch nicht geredet wurde.
Wenigstens hatte sie sich inzwischen umgezogen und ihr hellblondes Haar getrocknet, auch wenn es sich noch immer ungebändigt um ihr Gesicht lockte. Eigentlich bevorzugte er Frauen mit glattem Haar in einem perfekten klassischen Schnitt, musste jedoch zugeben, dass die Frisur recht attraktiv wirkte. Ihre Wangen schimmerten rosig. Das ist Natur, kein Make-up, stellte er mit Kennerblick fest. Sie hatte grüne Augen, und wenn sie lächelte, blitzten ihre weißen Zähne wie Perlen.
Er schätzte sie auf etwa einen Meter sechzig. Sie hatte ein schön geformtes Gesicht, einen langen, schlanken Hals und eine schmale Taille. Allerdings missfiel ihm, dass sie eine Hose trug. Margarita hatte bei Tisch stets ein Kleid getragen.
„Gibt es in Ihrer Heimat auch Indianer?“, fragte Kico interessiert.
„Ja, die Seminolen.“ Julie nahm sich ein Brötchen und bestrich es mit Butter. „Ich komme aus Florida, und der Stamm der Seminolen lebt überwiegend im Gebiet der Everglades. Meine Eltern und meine jüngste Schwester wohnen in Key Largo. Dort bin ich in einem großen weißen Haus direkt am Wasser aufgewachsen.“
Sie reichte den Brotkorb weiter und fügte freundlich hinzu: „Du bist bestimmt auch gern am Wasser, oder?“
Der Kleine wurde sehr ernst, senkte den Blick und schüttelte verneinend den Kopf.
Die Suppenteller wurden abgeräumt. Ein anderes Dienstmädchen servierte einen Salat aus Artischocken und Palmenherzen zu gegrilltem Fisch und Grillkartoffeln.
Besorgt bemerkte Julie, dass Kico nun traurig auf den Teller starrte und das Essen kaum anrührte. Offensichtlich hatte sie etwas Falsches gesagt. Doch was? Sie sah auf und fing Vegas wütenden Blick auf. Der Mann sah aus, als hätte er ihr am liebsten den Hals umgedreht.
Er hatte ein interessantes Gesicht – ernst mit einem fast grausamen Zug, ähnlich den Märtyrern, deren Porträts im Flur hingen. Die Stirn war breit, die Wangenknochen hoch und ausdrucksstark. Dunkle Augenbrauen betonten die fast schwarzen Augen, in denen Julie Verbitterung, Schmerz und harte Unnachgiebigkeit las.
Seine Hände waren die eines Bildhauers – mit langen, wohlgeformten Fingern, aber rau und rissig von der Arbeit.
„Darf ich abtragen, Señorita?“ Das Dienstmädchen stand neben ihr.
Julie atmete tief durch und löste widerstrebend den Blick von Rafaels Händen. „Ja bitte“, sagte sie nur.
„Darf ich Ihnen Kaffee servieren?“
„Gern.“
„Gibt es Nachtisch?“, fragte Kico.
„Ja, Brotpudding“, antwortete das Mädchen.
„Ich hasse Brotpudding. Warum gibt es nie Kuchen?“
„Señorita Alicia weiß am besten, was gut für dich ist“, erklärte Rafael Vega und wandte sich Julie zu. „Alicia führt Haushalt und Küche und stellt die Mahlzeiten zusammen.
Außerdem kümmert sie sich um Kico.“
„Dafür bin ich ja jetzt da“, gab Julie zu bedenken. „Kico und ich werden von nun an viel Zeit miteinander verbringen. Ich würde ihn gern einige Stunden am Vormittag unterrichten. Dann gibt es Mittagessen und eine Spielstunde. Und am
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