Headhunter
den ich gekommen war. Es war jetzt stockfinster, und
das Licht der Traktorleuchten tanzte über den holperigen Weg. Vergeblich hielt
ich nach dem Lexus Ausschau, aber der musste doch irgendwo hier stehen! Nein,
jetzt dachte ich nicht klar, er konnte ihn ja auch auf der anderen Seite des
Hofs geparkt haben. Ich schlug mir selbst mit der Hand ins Gesicht. Blinzeln,
atmen, nicht müde werden, nicht nachlassen. So.
Vollgas.
Ein beständiges, forderndes Brüllen. Wohin? Nur weg.
Mein
Blickfeld schien wieder schmaler zu werden, und das Dunkel wurde größer. Ich
bekam wieder einen Tunnelblick, war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren,
und atmete so tief ich nur konnte. Sauerstoff ins Hirn. Hab Angst, sei wach,
bleib am Leben!
In
das monotone Brüllen des Motors hatte sich jetzt auch noch ein anderes Geräusch
gemischt. Ein Oberton.
Ich
wusste, was es war, und umklammerte das Lenkrad nur noch fester.
Ein
anderer Motor.
Das
Licht traf meinen Spiegel.
Ein
Wagen näherte sich ohne jede Hast von hinten. Warum sollte er es auch eilig
haben? Wir waren vollkommen allein hier in der Wildnis, wir hatten alle Zeit
der Welt.
Meine
einzige Hoffnung war, dass ich ihn hinter mir halten konnte, damit er mir
nicht den Weg versperren konnte. Ich fuhr auf der Mitte der Schotterstraße und
beugte mich dabei tief über das Lenkrad, um ein möglichst kleines Ziel für die
Glock zu bieten. Dann kamen wir zu einer Kurve, nach der der Weg plötzlich
gerader und breiter wurde, und als ob Greve das Gelände wie seine Westentasche
kennen würde, gab er plötzlich Gas und war neben mir. Ich lenkte den Traktor
nach rechts, um ihn in den Graben abzudrängen, aber zu spät, er kam an mir
vorbei. Stattdessen war jetzt ich auf dem Weg in den Graben, zerrte verzweifelt
am Lenkrad und holte den Traktor mit letzter Kraft auf die Straße zurück. Vor
meinen Augen brannte jetzt ein blaues Licht. Und auf jeden Fall zwei rote
Bremslichter, die mir zeigten, dass der Wagen vor mir hielt. Ich blieb
ebenfalls stehen, ließ den Motor jedoch weiterlaufen und stieg nicht ab. Ich
wollte nicht hier sterben, hier in der Einöde, stumm wie ein Schaf. Meine
einzige Chance bestand jetzt darin, ihn aus dem Auto zu bekommen, ihn zu
überfahren und dann mit dem Profil meiner gewaltigen Reifen wie Pfefferkuchenteig
zu zermatschen.
Auf
der Fahrerseite öffnete sich eine Autotür. Ich gab dem Gaspedal einen kleinen
Schubser mit der Schuhspitze, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie schnell der
Motor reagierte. Nicht schnell. Vor meinen Augen drehte sich alles, und mein
Blick begann wieder zu schwimmen. Trotzdem sah ich eine Gestalt auf mich
zukommen. Ich zielte und versuchte krampfhaft, mich zu konzentrieren. Die
Person war groß und dünn. Groß und dünn? Clas Greve war nicht groß und dünn.
»Sindre?«
»What?«,
sagte ich, obwohl mein Vater mir eingebläut hatte, dass ich »I beg your
pardon?«, »Sorry, sir?« oder »How can I accommodate you, madam?« sagen sollte.
Ich rutschte auf dem Sitz ein Stück nach unten. Mein Vater hatte meiner Mutter
verboten, das Kind auf dem Schoß zu haben. Er meinte, der Junge würde dadurch
verweichlicht. Siehst du mich jetzt, Vater? Bin ich verweichlicht? Darf ich
jetzt auf deinen Schoß?
Dann
hörte ich einen herrlich norwegischen Tonfall etwas zögerlich durch die
Dunkelheit singen:
»Are
you from the ... eh ... Asylantenheim?«
»Asylantenheim?«,
wiederholte ich.
Er
stand jetzt neben dem Traktor, und ich sah seitlich zu ihm nach unten, während
meine Hände das Lenkrad noch immer umklammerten.
»Oh
Entschuldigung«, sagte er. »Sie haben auf mich ... so ... äh, sind Sie in die
Jauchegrube gefallen?«
»Ich
hatte einen kleinen Unfall, ja.«
»Das
sehe ich. Ich habe Sie angehalten, weil das Sindres Traktor ist. Und weil
hinten am Siloschneider ein Hund hängt.«
Meine
Konzentration hatte also doch nicht gereicht. Ha, ha. Diesen verdammten Köter
hatte ich glatt vergessen, hörst du das, Vater? Zu wenig Blut im Hirn. Zu
viel...
Ich
verlor das Gefühl in den Fingern, dann rutschten sie vom Lenkrad, und ich wurde
ohnmächtig.
Kapitel 15
Besuchszeit
Ich
wachte auf und war im Himmel. Alles war weiß, und ein Engel blickte auf meine
Wolke herab und fragte mich, ob ich wüsste, wo ich war. Ich nickte, und der
Engel sagte mir, jemand wolle mit mir reden, es sei aber nicht eilig, er könne
warten. Ja, dachte ich, er kann warten. Denn wenn er zu hören bekommt, was ich
getan habe, wird er mich schnurstracks
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