Headhunter
ich sah das Zahnfleisch und die Zähne im Unterkiefer.
Der mürrische Bauer erinnerte mich an den guten alten Pac-Man, aber das neue
Ohr-zu-Ohr-Grinsen war nicht die Todesursache. Über seinen Hals verliefen zwei
gleichmäßige, blutunterlaufene Striche, die sich in der Mitte wie ein X
kreuzten. Sindre Aa war von hinten mit einer Garotte erwürgt worden, einem
dünnen Nylonfaden oder einem Stahldraht. Ich atmete keuchend durch die Nase,
während mein Hirn rasch und ungefragt die Geschehnisse rekonstruierte: Clas
Greve war am Hof vorbeigefahren und hatte im Schlamm vor dem Haus meine
Reifenspuren bemerkt, die in die Scheune führten. Vermutlich war er
weitergefahren, hatte dann aber den Wagen abgestellt, war zurückgelaufen und
hatte durch einen Blick in die Scheune seinen Verdacht bestätigt bekommen.
Sindre Aa hatte zu diesem Zeitpunkt vermutlich bereits auf der Treppe
gestanden. Misstrauisch und schlau. Bestimmt hat er Greve keine klaren
Antworten auf seine Fragen nach mir gegeben, er wird sich vage ausgedrückt
haben. Hatte Greve ihm Geld geboten? Waren sie ins Haus gegangen? Auf jeden
Fall musste Aa noch immer wachsam gewesen sein, denn als Greve ihm die Garotte
über den Kopf gezogen hatte, war es ihm anscheinend gelungen, noch schnell das
Kinn zu senken, so dass der Draht sich nicht um seinen Hals legte. Beim
anschließenden Kampf musste der Draht sich dann in Aas Wange geschnitten haben.
Aber dank seiner Kraft war es Greve schließlich doch gelungen, den
todbringenden Draht um den Hals des verzweifelten Alten zu legen. Ein stiller
Zeuge, ein stiller Mord. Aber warum hatte Greve es sich nicht einfacher
gemacht? Warum hatte er ihn nicht einfach erschossen? Die nächsten Nachbarn
waren doch kilometerweit entfernt. Hatte er Angst, mich zu warnen? Dann
kapierte ich: Er hatte ganz einfach keine Waffe. Ich fluchte leise. Denn jetzt
hatte er eine, ich hatte sie ihm richtiggehend serviert, auf dem Küchentisch in
der Hütte. Wie blöd konnte man eigentlich sein?
Ich
wurde auf das tropfende Geräusch und die Katze aufmerksam, die jetzt zwischen
meinen Beinen stand. Mit ihrer hellroten Zunge leckte sie das Blut auf, das von
meinem Hemd auf den Boden tropfte. Eine betäubende Müdigkeit überkam mich, und
ich atmete dreimal tief durch. Ich musste mich jetzt konzentrieren.
Weiterdenken, einen klaren Kopf behalten, nur so konnte ich die lähmende Furcht
auf Distanz halten. Als Erstes musste ich die Traktorschlüssel finden. Ich lief
planlos von Raum zu Raum und riss alle Schubladen auf. Im Schlafzimmer fand ich
eine einzelne, leere Patronenhülse und im Flur einen Schal, den ich mir fest um
den Nacken band, um die Blutung zu stoppen. Aber keinen Traktorschlüssel. Ich
sah auf die Uhr. Greve machte sich mittlerweile wohl wirklich Sorgen um seinen
Hund. Zu guter Letzt ging ich zurück ins Wohnzimmer, beugte mich über Aas
Leiche und durchsuchte seine Taschen. Da! Auf dem Schlüsselring stand sogar
Massey Ferguson. Ich hatte zwar nur wenig Zeit, durfte aber auf keinen Fall
nachlässig werden. Jetzt kam es darauf an, alles richtig zu machen. Also: Wenn
sie Aa fanden, würden sie diesen Ort wie einen Tatort behandeln und nach
biologischen Spuren suchen. Ich hastete also in die Küche, befeuchtete ein
Handtuch und wischte damit in allen Zimmern, in denen ich gewesen war, das Blut
und mögliche Fingerabdrücke weg. Als ich schon im Windfang stand, fiel mein
Blick auf das Gewehr. Vielleicht hatte ich ja doch mal Glück und es war eine
Patrone im Lauf? Ich packte die Waffe, rüttelte und zog an einem Hebel und
hörte ein Klicken von Bolzen oder Auslösern oder wie auch immer diese Dinger
hießen, bis es mir schließlich gelang, die Waffe aufzuklappen. Ein kleines
rotes Ding ragte mir entgegen, die Kammer war leer. Keine Patrone. Ich hörte
ein Geräusch und blickte auf. Die Katze stand auf der Schwelle zur Küche und
starrte mich gleichsam besorgt und vorwurfsvoll an: Ich konnte sie doch nicht
einfach so verlassen? Ich trat fluchend nach dem treulosen Geschöpf, das
entsetzt zur Seite sprang und ins Wohnzimmer flüchtete. Dann wischte ich
schnell das Gewehr ab, stellte es zurück, ging nach draußen und drückte die Tür
mit dem Fuß zu.
Der
Traktor startete mit einem Brüllen. Und brüllte weiter, als ich aus der Scheune
fuhr. Ich ließ das Tor hinter mir offen, denn ich hörte, was der Traktor
brüllte: »Glas Greve! Brown versucht abzuhauen! Beeil dich, los, beeil dich!«
Ich gab Vollgas und fuhr
den gleichen Weg, über
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